Warum mischt die Gesellschaft sich in diese Dinge ein?

Von Lamia Hassow

Als ich in Syrien und im Irak gelebt habe, wurde mir von verschiedenen Personen geraten, ich solle ein Kopftuch tragen, das sei besser für mich. In Deutschland sagen fast alle, die ich kenne: Wenn Du beruflich etwas erreichen möchtest, solltest Du kein Kopftuch tragen. Warum lassen die Menschen die Frauen nicht einfach selbst entscheiden, wie sie sich kleiden wollen? Warum will die Gesellschaft sich in diese Dinge einmischen?

Als ich nach Deutschland kam, habe ich zum ersten Mal ein Kopftuch getragen. Ich war auf der Suche nach meiner religiösen Identität und spürte zuerst der Religion nach, in die ich hineingeboren worden bin. Viele Pflichten des Islams hatte ich bereits erfüllt: Beten, Geld an die Armen spenden, Fasten. Das Tragen eines Kopftuchs hatte ich noch nicht ausprobiert. Ich gestehe, dass ich von der Idee des Kopftuchs nie ganz überzeugt war, aber ich wollte wissen, wie es sich für mich anfühlt.

Also trug ich ein Kopftuch, 20 Tage lang, während des Fastenmonats Ramadan. Aber es überkam mich ein großes Gefühl von Verschwinden und Schwäche. Ein religiöses Bekenntnis muss sich gut anfühlen, es sollte mich stärker machen! So habe ich mich gegen das Kopftuch entschieden.

Auf der Suche nach meiner religiösen Identität habe ich mich viel mit dem islamischen Kopftuch beschäftigt. Deshalb habe ich mit Frauen in Syrien und im Irak über das Kopftuch gesprochen, auch in Deutschland beschäftigt mich die Frage, warum manche Frauen ein Kopftuch tragen und andere nicht. Einige Antworten habe ich hier aufgeschrieben.

  • Ich trage das Kopftuch, weil ich heiraten möchte. Kein Mann heiratet eine Frau ohne Kopftuch! Eine Frau ohne Kopftuch ist wie ein Bonbon ohne Bonbonpapier, das Staub und Fliegen anzieht.
  • Ich trage das Kopftuch, weil ich damit schöner aussehe, meine Haare sind sehr dünn.
  • Ich trage das Kopftuch, weil alle in meiner Familie und in meiner Region das Kopftuch tragen. Es würde sich komisch anfühlen, ohne.
  • Ich trage das Kopftuch seit ich neun Jahre alt bin, ich habe das selbst entschieden.
  • Ich trage das Kopftuch, weil mein Verlobter das gefordert hat.
  • Ich trage das Kopftuch, weil ich in einem konservativen Stadtteil lebe und mich schützen möchte.
  • Ich trage das Kopftuch, weil es für mich Heimat bedeutet.
  • Ich trage das Kopftuch, weil mein Vater und mein Bruder das möchten.
  • Ich trage das Kopftuch, weil ich über 40 Jahre alt bin und Kinder habe. In meiner Kultur ist es für eine Frau wie mich angemessen, ohne Kopftuch draußen herumzulaufen.
  • Ich trage das Kopftuch, weil ein Mann beim Zuckerfest zu mir gesagt hat, dass er mir beim nächsten Mal mehr Bonbons gibt, wenn ich ein Kopftuch trage.
  • Ich trage das Kopftuch, weil es Teil meiner religiösen Identität ist (25-jährige Frau).

Dieser Text erschien am 8. März 2021 zum Weltfrauentag online auf „nid – Neu in Deutschland“.

1 Kommentar

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Wenn das Kopftuch Teil der religiösen Identität einer erwachsenen Frau aus freiem Willen getragen wird, kann ich das verstehen. Wenn es jedoch getragen wird, weil der Druck von außen kommt, so sollte uns das zu denken geben. Ein neun jähriges Mädchen ist noch nicht in der Lage, eine solche Entscheidung aus eigener Überzeugung zu treffen. Erst im Erwachsenenalter habe ich die Möglichkeit zu erkennen, wie groß der äußere Einfluss auf meine Entscheidungen ist.

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