Marah, meine Liebe

Die Liebe kennt nur, wer sie selbst erlebt hat, schreibt Marwan Alfneesh – und erzählt von den schönsten Jahren, die er in seiner Heimatstadt Damaskus verbrachte.

Übersetzung: Khaled Al Rifai

Meine Geschichte beginnt in der elften Klasse, ein Jahr vor dem Abitur. Ihr Name war Marah. Marah war ein sehr schönes Mädchen, sensibel, wunderbar. Sie war sehr gut in der Schule und ich gebe zu, dass sie besser war als ich. Manchmal, nicht sehr oft, habe ich sie im Lernen besiegt und bekam bessere Noten. Sie stärkte meinen Ehrgeiz, besser zu lernen. So wurde ich ein fleißiger Schüler, ich wollte ihren Respekt verdienen.

Marwan_Mohamad An meiner Schule war ich sehr glücklich, die Lehrer mochten mich, auch bei den Mädchen war ich beliebt. Ich fühlte mich sehr besonders, wenn ich das sagen kann, ohne unbescheiden zu sein. Als die Liebe mich erfasste, war ich sehr jung, aber das Herz kennt kein Klein oder Groß, wenn es von der Liebe bewegt wird.

Marah zeigte Aufmerksamkeit für mich, aber zunächst ignorierte ich das. Eines Tages fragte ich sie, warum sie versuchte, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie antwortete ehrlich. Sie erklärte mir ihre Liebe. Ich war sprachlos. Weil bei uns in Syrien immer der Mann solche Worte spricht.

In dieser Situation, die ich nie vergessen werde, wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich lief weg, ging nach Hause, dachte viel über ihre Worte nach, konnte nicht schlafen. Am nächsten Tag ging ich nicht zur Schule, um ihr nicht begegnen zu müssen. Ich bekam Ärger mit meinen Eltern, weil ich nicht zur Schule gegangen war. Als ich sie wiedersah, sagte ich: „Marah, lass uns Freunde sein. Alles andere soll die Zeit entscheiden.“ Sie war schüchtern, sie konnte nur mit traurigen Augen, die kaum geweint hätten, reagieren.

Marwanschreibend_klDas Glück verließ auch uns

Die Tage und Monate vergingen. Marah und ich verliebten uns. Ihre Liebe hatte sich in mein Herz eingenistet. Wir verbrachten die schönste Zeit zusammen. Sie war immer eine Freundin und Geliebte für mich.Wir lernten die Herausforderung kennen, zusammen zu sein. Wir waren ein bisschen verrückt. Ich schrieb Gedichte für sie. Eines lautete so:

Sie sagte zu mir, liebst du mich
Ich sagte: ja.
Sie sagte zu mir, kanntest du vor mir andere Frauen
Ich sagte: ja.
Sie sagte, du gibst das so einfach zu.
Ich sagte: ja.
Ich habe mich an das Lügen nicht gewöhnt,
meine Prinzessin.
Die anderen Frauen waren nur mein Weg zu dir,
meine Dame.

Von diesen Gedichten schrieb ich ihr sehr viele. Das Abitur bestanden wir beide und ich bat meine Eltern, bei ihren Eltern um ihre Hand anzufragen. Doch meine Eltern sagten: Du bist zu jung zum Heiraten. Auch Marah versuchte, ihre Eltern zu überzeugen, aber sie war nicht erfolgreicher als ich.

Marah und ich blieben zusammen, mit unserem Liebesversprechen. Dann fielen die ersten Bomben in Damaskus, ganz in der Nähe meines Wohnorts. Marah war mit ihrer Familie in eine andere Stadt gefahren, sie sah die Bomben im Fernsehen und versuchte vergeblich, mich anzurufen. Mein Handy hatte stundenlang keine Verbindung. Später sah ich, dass sie mehr als 20 Mal versucht hatte, mich anzurufen. Als ich sie schließlich erreichte und sie meine Stimme hörte, weinte sie. Sie war erschöpft vor Angst. Sie hatte sich große Sorgen um mich gemacht. Ich weinte mit ihr. Diese Tage waren sehr traurig. Ich kann sie nicht vergessen.

hochgucken_klDie Lage in unserem Land wurde schlechter. Das Glück verließ auch uns beide. Wir trafen uns zum letzten Mal. Ich hatte entschieden, nach Deutschland zu gehen. Wir versprachen uns beim Abschied, uns weiter zu lieben, auch wenn wir nicht zusammen sein konnten. Sie versprach, dass sie, wenn sie eines Tages heiraten sollte, ihr Kind nach mir benennen würde. Ich versprach ihr dasselbe.

Marah heiratete nach dem Wunsch ihrer Eltern. Sie hat heute zwei Kinder: Marwan und Nour. So endet die Geschichte unserer traurigen Liebe, der Jahre zwischen Glück, Trauer, Schmerz, Weinen und Treue. Aber sicherlich wird mein Herz nicht aufhören, Marah zu erwähnen. Meine liebe Marah, ich schreibe unsere Geschichte in deiner Abwesenheit, aber in der Gegenwart deiner Seele, die in mir lebt. Ich wünsche dir und deiner Familie Glück – in der kleinen Hoffnung auf eine Wiederbegegnung, meine geliebte Marah.

Der Text stammt aus der 6. Ausgabe der NiD-Zeitung (2/2017).

 

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