Meine erste Reise in die Heimat
Von Fatme El-Rachidi
Wenn die Flucht schon viele Jahre zurück liegt und man selbst damals noch ein Kind war – dann ist die „Rückkehr“ in die alte Heimat eine Reise ins Unbekannte. Auch wenn die halbe Familie noch dort wohnt.
Als ich 25 Jahre alt war, im Mai 2010, habe ich meine allererste Urlaubsreise gemacht. Diese Reise führte mich ausgerechnet in mein Heimatland: den Libanon, das Land, in dem ich geboren wurde, in dem meine Eltern aufgewachsen sind, und aus dem ich mit meiner Familie fliehen musste, als ich drei Jahre alt war.
Das Ticket war gebucht und ich war sehr aufgeregt. Erstens war es mein erster Flug und ich hatte große Angst vorm Fliegen. (Würde ich diesen Flug überleben?) Zweitens sollte ich im Libanon
die Familie meines Mannes kennenlernen. Tausend Gedanken schwirrten durch meinen Kopf! Werden sie mich mögen? Werden sie mich akzeptieren? Werde ich mit ihnen zurecht kommen? Meine Schwiegereltern würden auch unsere Tochter Noura zum ersten Mal sehen. Noura war damals zwei Jahre alt. Drittens sollte ich mein Geburtsland kennenlernen. Das Land, in dem ich drei Jahre lang gelebt habe und in dem Krieg herrschte. Trotz der Aufregung und der tausend Gedanken in meinem Kopf war ich glücklich und voller Freude, als ich ankam.
Als ich und meine Familie aus dem Flughafen rausgingen, musste ich zunächst tief Luft holen. Es war so warm, wie ich es noch nie in Deutschland erlebt hatte. Aber es war ein tolles Gefühl.
Die Straßen und die Häuser sahen anders aus als in Deutschland. Etwas angeschlagen und alt, dennoch wunderschön. Nach der langen Autofahrt freute ich mich, endlich meine Schwiegerfamilie kennenzulernen. Angekommen stieg ich aus dem Auto und alle standen da, ein Riesenempfang. Alle waren sehr herzlich und nett. Es gab einen riesengroßen Tisch mit viel köstlichem Essen, extra für uns zubereitet. Es wurde viel gelacht und jeder wollte sich vorstellen und mich kennenlernen. Es war besser, als ich es mir erhofft hatte. Seitdem fliege ich ein Mal im Jahr in den Libanon.
Dieser Text erschien 2019 in der nid-Sonderausgabe FRAUEN, in Zusammenarbeit mit dem Café Courage in Bottrop.
Fatme El-Rachidi (33) floh als Kind mit ihren Eltern aus dem Libanon nach Deutschland. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und macht eine Ausbildung zur Arzthelferin bei einem Kinderarzt. Für die „Bottrop-Seiten“ in der nid-Zeitung hat sie zahlreiche Texte aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt.