Von Khaled Al Rifai
Die einzige Verbindung zu meiner Schwester Sanaa hatte ich in den vergangenen sechs Jahren über die sozialen Medien – und über unsere gemeinsame Hoffnung, dass wir uns eines Tages wiedersehen würden.
Im April 2018 war dieser Tag auf einmal da. Offiziell sagt man dazu: „Familienzusammenführung“. Doch was es eigentlich ist, das kann nur das klopfende Herz erzählen, mit dem ich zum Flughafen fuhr, um meine Schwester und ihre zwei Kinder abzuholen. An diesem Tag wurde ich als Bruder einer Schwester wieder lebendig – und als Onkel von zwei Neffen, zwei und sieben Jahre alt! Auf dem Weg zum Flughafen nahm ich um mich herum alles als unwirklich wahr. Der Mann meiner Schwester war bei mir. Er ist seit etwa drei Jahren in Deutschland, in Paderborn. Als er sein Land verließ, war sein jüngster Sohn, mein Neffe, noch nicht geboren.
Über eine Stunde warteten wir in der Ankunftshalle. Ich beobachtete andere Familien, die sich begrüßten und eng zusammenstanden. In mir ging alles durcheinander, was mir nicht oft passiert. Meine Tränen wären fast gefallen. Das Flugzeug, das gerade gelandet war, kam aus Erbil im Irak. In Erbil erhalten viele Menschen die notwendigen Dokumente und Visa für den Familiennachzug. Viele Familien, die sich hier in der Ankunftshalle in die Arme fielen, erlebten also etwas Ähnliches wie wir. Ich hielt mein Handy bereit, um diesen unvergesslichen Moment, der uns bevorstand, aufzuzeichnen.
Endlich kam sie und sah mich an.
Ich hielt mein Handy fest in der Hand, um aufzuzeichnen, wie Sanaa ihrem Mann – und ihre Kinder ihrem Vater – in die Arme fielen.
Sie weinte. Sie nahm mich in den Arm.
Es war ein unglaublicher Moment.
Ich wusste nicht, was ich sagen wollte, was ich machen konnte.
Ich bin so glücklich, dass meine Schwester und ihre Kinder hier sind, meine Familie. Stück für Stück baue ich mir in Deutschland eine neue Heimat auf: Erst lernte ich die Sprache, dann fand ich Freunde. Beruflich bin ich durch meine Ausbildung fest eingebunden und kann ein eigenständiges Leben führen. Nun habe ich auch eine familiäre Verankerung. Langsam fühle ich mich wohl in Deutschland, und heimisch. Ich werde hoffentlich damit aufhören, mein Leben und meine Zugehörigkeit hier in Frage zu stellen.
Ich werde meiner Schwester dabei helfen, hier anzukommen, sich einzuleben. Ich hoffe, dass sie sich wohl und heimisch fühlen kann. Darin liegt eine große Herausforderung, für uns beide. Ich will sie mutig bewältigen!
Mein altes Leben wurde zerstört und ich möchte hier ein neues aufbauen. In meinem Kopf sind viele Träume, die ich hier realisieren möchte, bis zum Ende meines Lebens. Was die Zukunft bringt, das weiß ich nicht. Aber ich werde hoffnungsvoll bleiben und mein Bestes geben, dass das, was kommt, gut wird.