Von Nahed Al Essa
Fast jeder erinnert sich daran, etwas zum ersten Mal gemacht zu haben,
das erste Mal von allem..
Ich jedoch erinnere mich äußerst gut
an das letzte Mal.
Der letzte Schluck meines Kaffees,
meines Wassers.
Überhaupt der letzte Moment,
und wie der Himmel war.
Die letzte Geburtstagparty,
wie viele Kerzen ausgeblasen wurden,
was ich angezogen hatte,
wie das Restaurant hieß,
der Weg dorthin,
die Musik.
Alles war schön geplant.
Ich wusste schon,
dass es das letzte Happy Birthday dort sein würde.
Der letzte Tag dort.
Ich weiß genau,
wie viel Grad wir hatten,
wie stark die Sonne war.
Der letzte Kuss
von der Sonne.
Die letzte Straße,
in der ich mit meinem Freund lief,
ohne Ziel.
Ich wollte von jedem Viertel Abschied nehmen.
Aber die Zeit war fast um,
ich konnte kaum zum letzten Mal tanzen.
Ja, tanzen!
Meine Nachbarn und Freunde gaben sich viel Mühe,
mir eine Abschiedsparty zu machen,
und ich gab ihnen viel Fröhlichkeit,
zum letzten Mal.
Sie haben ein schönes Bild von mir
in unseren Erinnerungen aufrecht erhalten.
Meine Lächeln und meine Mimik versteckten alles.
Das Lied, das mein Bruder extra für mich gesungen hat…
Die Wörter des Liedes sagten, was er sagen wollte, und zwar:
Meine Schwester! Bleib hier!
Was ich allerdings ignorierte.
Die letzte Nacht mit meinen Kindern dort…
Wie ein Stein sollte ich sein.
Als ich einer Freundin sagte,
dass diese Stunde die letzte in Damaskus sein würde,
bat sie mich: sag so etwas nie wieder!
Das war ihre letzte Bitte.
Der Countdown fing schon an.
Ich musste noch vieles zum letzten Mal tun.
Der Tag, der 24. August 2015,
teilte mein Leben ab.
Es ist so geworden,
vorher und nachher.
Die letzte Person,
die mir den Rucksack gab
und wie schwer meine Last war,
genau so schwer wie mein kommendes Heimweh.
Der letzte Blick auf meine Tür,
dann wurde die Tür geschlossen.
Die letzte SMS, die letzte Whatsapp-Nachricht, der letzte Anruf,
meine Nummer dort.
Das letzte Gesicht,
die Augen, der Geruch.
Die letzte Hand stieß mich nach vorne.
Das letzte Leben.
Ich erlaubte mir nicht,
nach hinten zu gucken,
nur nach vorne,
dort wartet die Freiheit auf uns,
der Frieden,
die Sicherheit,
alles anderes war unbekannt,
ein großes Fragezeichen.
Vom Fenster des Flugzeugs aus guckte ich auf mein Damaskus,
bis ich sie nicht mehr sehen konnte,
meine Stadt.
Wisst ihr,
was das heißt,
das letzte Mal
Niemand klopft an meine Tür
Nahed Al Essa, 11. August 2017
Mein Handy klingelt,
immer wieder,
alle gratulieren mir,
meine ganze Familie, meine Freunde,
skype, whatsapp, facebook,
alle sind da, verteilt,
aber meine Tür bleibt ruhig,
niemand klopft an meine Tür.
Die Party hat begonnen, wie gewöhnlich,
wie jedes Jahr,
aber wir feiern über Social Media.
Das ist auch toll.
Andere können gar nicht feiern,
sie haben keinen Grund mehr zum Feiern,
sie atmen nur,
aber reicht das, um die Jahre zu zählen
und ein neues Jahr in Empfang zu nehmen?
Die Hände, die Blumen, der Kuchen, die Nähe
sind nicht hier,
oder ich bin nicht dort.
Es ist der 11. August, mein Geburtstag.
Das Handy klingelt, mit Nachrichten voller Glückwünsche.
Aber meine Tür ist in einer anderen Welt, an ihr wird nicht geklingelt.
1 Kommentar
Kommentieren →Ich habe diese Gedichte mehrmals gelesen aus Begeisterung, und ich weiss, was es heisst.
seine Wurzeln, seine Heimat zu verlieren. Im Alter von fast 2 Jahren sind wir aus Schlesien geflohen, aus Angst vor den russischen Soldaten in der Nacht im Wald versteckt, vor Hunger eingeschlafen.
Manchmal im Viehwagon, da wurde rechts gestorben, links geboren und in der Mitte des Raumes gekocht usw. Ich kleiner Wurm mittendrin; daran, zu denken jetzt im Alter kommen mir wieder die Tränen.
Deshalb haben Umkays und Kinder meine volle, tiefe. aufrichtige Sympathie und Bewunderung. Umkays eine starke und willensstarke Mutter.
Gerne würde ich sie persönlich kennenlernen, weil ich auch viele Gedichte geschrieben habe. Möchte mich mit Umkays literarisch austauschen und die Gelegenheit bekommen, voneinander zu lernen.
Grüße Reinhard Mertens, Wattenscheid