Einladung zur Deutschlandreise

Von Omar Al Nabulsi
mit Dorte Huneke-Nollmann

Um einen Arbeitsplatz zu finden, bewerbe ich mich seit einigen Monaten in ganz Deutschland – und bekomme Antworten aus ganz Deutschland. Einige sagen freundlich ab, einige schweigen – und andere laden mich zu Vorstellungsgesprächen ein. Auf diese Weise lerne ich viele neue Städte kennen. Berlin, Bad Berleburg, Dortmund, Düsseldorf… Heute kam eine Einladung aus Darmstadt. In vier Tagen soll ich dorthin kommen. Im Internet gucke ich nach, wie teuer die Fahrt nach Darmstadt mit der Bahn ist. Günstiger sind die Tickets ja, wenn man frühzeitig bucht.

Aber jede Einladung gibt mir Hoffnung. Also sage ich in Darmstadt zu, verschiebe meine Führerscheinprüfung, die für den gleichen Tag angesetzt war, und überlege, was ich zu dem Gespräch anziehen soll.

Omar_Berlin
In der deutschen Hauptstadt: Omar Al Nabulsi

Ich habe eine besondere Ausbildung gemacht.

Das Jobcenter zahlt, eigentlich, die Reisekosten für Vorstellungsgespräche. Aber ich kenne die langen Wege, die ich dafür gehen muss. Sie verlangen Zeit und Nerven. Termin machen. Anträge ausfüllen. Warten. Nachfragen. Warten. Nochmal einen Termin machen. Warten. Auf die Reisekosten-Erstattung für eine Fahrt nach Berlin warte ich immer noch.

Wenn ich Glück habe, bekomme ich bald eine Einladung nach München. Wobei der Termin hoffentlich mittags liegen wird, da ich am gleichen Tag hin und wieder zurückfahren muss. Sonst bekomme ich die Kosten nicht erstattet. Ich weiß nicht genau, wo ich mich noch überall beworben habe. Ich weiß inzwischen aber, dass ich nur Chancen habe, wenn ich mich im sozialen Bereich bewerbe, obwohl ich in Syrien BWL und Agrarwissenschaften studiert habe. Mein syrischer Freund Abdul sagt: Aber du bist doch gar kein Sozialarbeiter, dafür muss man eine Ausbildung gemacht haben.

Omar_Paderborn_Ich habe in den vergangenen zwei Jahren eine besondere Ausbildung gemacht: Ich bin geflüchtet, kenne die kulturellen Unterschiede zwischen Syrien und Europa, ich spreche mehrere Sprachen, kenne soziale Notlagen und das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Außerdem habe ich als Sprachmittler in verschiedenen Flüchtlingsheimen und bei der Stadt Bochum gejobbt. In Deutschland gibt es offenbar Unternehmen, die diese besondere Ausbildung anerkennen und mich einladen. Das macht mir Mut.

Während ich diesen Text schreibe, bekomme ich eine Mail aus Winnenden bei Stuttgart und sofort läuft bei mir die Maschine an: Wie weit, wie teuer, was ziehe ich an…?

Dieser Text erschien 2017 in der 6. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“.

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