Von Samar Shanwan
Hier im Exil hat unsere Muttersprache keine Quelle
Außer unseren Namen und unseren Wurzeln
Vergeblich übersetzte ich unsere metrisch perfekten Gedichte
Aber sie sind ohne Reim und Schema
Unsere ins Chaos gebrachten Gefühle
Unsere bescheidenen Besitztümer
Haben keinen Wert
Wir tragen nur unsere herkömmliche Menschlichkeit
Hier im Exil muss alles dokumentiert werden
Sogar die Menschlichkeit
Benötigt eine Unterschrift oder einen Fingerabdruck
Hier im Exil lässt nichts mich meine Identität vergessen
Weder die Zeit noch der Ort
Alle Gesichter erinnern mich an das Gesicht meiner Mutter
Die Krücke meiner Nachbarin weckt sehnsüchtige Erinnerungen in mir
An den wachen Geist meines Vaters
Ihre Falten verfassen viele verstreute Geschichten
Eine Tasse Tee
Eine herabgebogene Narzisse
Nehmen mich zu dem heiligen Ort
Der dort liegt, wo mein Bruder ist
Hier im Exil führt das Bemängeln einen aussichtslosen Kampf
Das Vermissen führt einen aussichtslosen Kampf
Die Fragezeichen bleiben ratlos
Die Luft, die beim Atmen unsere Lungen verlässt
Trägt die Abwesenden mit sich
Der Schmerz besiedelt mit Gleichmut unsere Brust
Hier im Exil gewinnen wir nur die Sehnsucht
Und bewahren den Rest unserer Erinnerungen
Dieser Text erschien 2020 in der 18. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“.