In Deutschland weiß kaum jemand, was Hunger ist

Nach einer Kindheit in Kamerun ist Steve Dibengue, der fließend Französisch und Englisch spricht, als Teenager mit seiner Familie ins Ruhrgebiet nach Herne gezogen. Anfangs war vieles für ihn neu, aber umgekehrt ist für die Deutschen manches neu, was Steve Dibengue als Erfahrung aus dem Land seiner Kindheit mitgebracht hat.

Von Steve Dibengue

Ich heiße Steve und bin 21 Jahre alt. Ich erzähle euch etwas über mich. Als ich drei Jahre alt war, musste ich von Deutschland aus, wo ich geboren worden bin, mit meiner Familie nach Kamerun umziehen. Mit sechzehn Jahren bin ich nach Deutschland zurückgekommen. Ich habe also die meiste Zeit meines Lebens in Kamerun verbracht. Für mich war das eine schöne Zeit, ich hatte viele Freunde, mit denen ich sehr eng zusammen aufgewachsen bin und ich habe mir immer vorgestellt, für immer in Kamerun zu bleiben. In meinen Augen ist Kamerun ein sehr schönes Land, die Hauptstadt heißt Jaunde.

Es gibt reiche Menschen und es gibt arme Menschen. Aber anders als in Deutschland sind die armen Menschen in Kamerun wirklich sehr arm und leben auf der Straße. Sie haben kaum etwas zu essen, viele hungern. In Deutschland weiß kaum jemand, was Hunger ist.

In Deutschland wird sehr viel Essen weggeschmissen, darüber staune ich immer wieder. Bei uns zu Hause durfte Essen nie weggeschmissen werden, das ist eigentlich überall in Kamerun so. Weil nicht alle genug zu essen haben, wissen wir, wie wertvoll das Essen ist. Ich habe in Kamerun gelernt, wie man mit Essen umgeht und wie schlimm Armut sein kann.

An vielen Orten ist außerdem das Wasser verschmutzt, was dazu führt, dass viele Menschen in Kamerun erkranken und immer wieder sterben Menschen, weil sie kein sauberes Wasser haben. Auch das ist in Deutschland anders, die Leute gehen viel selbstverständlicher mit Wasser um.

Die häufigsten Krankheiten in Kamerun sind Malaria und Durchfall, beide können tödlich sein. Auch Röteln, Polio und Windpocken sind weit verbreitet. Malaria, das ist ein sehr trauriges Thema in Kamerun, viele Menschen erkranken daran.

Die Krankheit wird durch Mücken übertragen. Durch den Klimawandel steigt die Gefahr, daran zu erkranken. In meiner Familie hatten alle schon mindestens drei Mal Malaria. Auch deshalb weiß ich, wie wichtig es ist, gegen den Klimawandel zu kämpfen.

Wir haben in Duala gewohnt, der größten Stadt des Landes. Duala ist sozusagen die wirtschaftliche Hauptstadt von Kamerun. Dort habe ich auch die Schule besucht. Das war allerdings eine ganz andere Welt als ich sie heute in meiner Schule in Herne erlebe. Die Grenzen, die man gegenüber den Lehrkräften einhalten musste, waren stärker. Eine angemessene Anrede und Kommunikation waren sehr wichtig. Man durfte den Lehrkräften auch nicht widersprechen, gegen die Schulregeln konnte man sich nicht wehren und am besten sollte man die eigene Meinung für sich behalten.

In den Familien war das ähnlich: Respekt und Höflichkeit gegenüber den Erwachsenen waren sehr wichtig. Das ist übrigens bis heute in meiner Familie so. Wenn meine Eltern reden, soll ich den Mund halten. Das erste Jahr in Deutschland ist mir sehr schwer gefallen, mir erschien alles in Deutschland fremd: die Kultur, die Menschen, die Werte und Normen, die Sprache. Ohne die deutsche Sprache konnte ich keine neuen Freunde finden und mich nicht integrieren. 2015 habe ich dann angefangen, ins Lighthouse-Jugendzentrum in Herne zu gehen und damit ist alles anders geworden. Ich habe Freunde gefunden, die Sprache gelernt und mittlerweile würde ich sagen, dass ich dazu gehöre, auch wenn ich das Deutsche nicht ganz perfekt sprechen kann.

Dieser Text erschien 2020 in der 18. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“.

Steve Dibengue, Foto: nid

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