In was für einer Gesellschaft ich leben möchte

Deutsch lernen, Ausbildung absolvieren, Festanstellung, Führerschein, Auto kaufen, Vorstandsmitglied in einem Verein, Bier trinken, nicht in die Moschee gehen, deutsche Freunde haben, ZDF gucken, Tischtennis spielen, Steuern zahlen… reicht das, um in Deutschland dazu zu gehören?

Von Khaled Al Rifai

Manchmal kommt mir der Gedanke, dass ich in ein anderes Land ziehen muss, um glücklich zu werden. In Deutschland überrascht mich dieser Gedanke, denn wenn ich beschreiben sollte, in was für einer Gesellschaft ich leben möchte, dann würde ich vieles nennen, das ich tatsächlich in Deutschland vorgefunden oder gelernt habe. Aber ebenso wichtig ist für mich, dass ich mich als vollwertigen Teil dieser Gesellschaft empfinde.

In Deutschland habe ich schneller als viele andere die Sprache gelernt, ich habe eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und bin nun festangestellt, ich habe den Führerschein bestanden und besitze ein Auto, ich bin Vorstandsmitglied in einem Verein, trinke Bier, gehe nicht zur Moschee, habe deutsche Freunde, gucke deutsche Nachrichten und Satire-Sendungen, spiele Tischtennis und zahle Steuern. In den Augen vieler Menschen müsste ich wahrscheinlich super-integriert sein. Aber eins habe ich nicht geschafft: ich möchte frei davon sein, aufgrund meiner Herkunft diskriminiert zu werden. Ich möchte es nicht schwerer haben als andere Menschen.

Nicht bei der Wohnungssuche, nicht bei Bewerbungen, nicht wenn ich jemanden kennenlerne und ich möchte auch keine Angst vor den nächsten Wahlergebnissen haben, davor dass die Stimmung im Land nach rechts kippt.

In Deutschland anzukommen, hat mich viel Kraft gekostet und kostet mich weiterhin Kraft. Ich habe es geschafft, hier auf eigenen Beinen zu stehen. Aber ich wünsche mir ein Leben in einer Gesellschaft, in der ich fair behandelt werde und die gleichen Chancen bekomme wie die Menschen, die in diese Gesellschaft hineingeboren wurden.

Ich möchte keine verletzenden Bemerkungen zu meiner Herkunft abwehren müssen. Ich möchte nicht gefragt werden, warum ich im Ramadan nicht faste; und warum kann ich kaum ein Bier trinken, ohne dass jemand eine Bemerkung darüber macht? Nur weil ich in einem muslimischen Land geboren worden bin.

Ich habe mich ins Zeug gelegt, um in Deutschland dazu zu gehören, ich wollte eine Familie hier gründen und meine Kinder hier aufwachsen sehen. Aber werden meine Kinder vollständig zu dieser Gesellschaft gehören? Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der ich nicht darüber nachdenke, woanders hinzugehen, um glücklich zu sein.

Dieser Text erschien 2020 in der 18. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“. Die Zeitung online lesen: http://weborama.de/neu_in_deutschland/18/

Beitragsbild: Tim Talent, talent-design.de

Schreibe einen Kommentar