Rojava

Rojava

Wenn Rawend Ali gefragt wird, woher er kommt, wird es gleich politisch: Seine Heimat ist Rojava, doch dieser Name steht nicht auf den offiziellen Landkarten. Der 20-Jährige weiß, dass viele gegen diesen Namen und diese Idee sind. Damit ist er aufgewachsen. Aber auch mit dem Wunsch nach Gleichberechtigung.

Von Rawend Ali, 20 Jahre

In den vergangenen Wochen sind überall in Deutschland Menschen „für Rojava“ auf die Straße gegangen. Das haben wahrscheinlich fast alle hierzulande mitbekommen. Aber vielleicht wissen manche nicht, warum wir auf die Straße gegangen sind. Ich möchte das aus meiner persönlichen Sicht erzählen.

Rojava ist der kurdische Name für eine Region, in der mehrheitlich Menschen kurdischer Herkunft leben: die demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien. Es ist ein de facto autonomes Gebiet in Syrien. Für mich bedeutet Rojava: Heimat.

Meine Heimat steht nicht auf den offiziellen Landkarten und natürlich weiß ich, dass einige dagegen sind, dass ich meine Heimat Rojava nenne. Die deutsche Übersetzung lautet Westkurdistan.*

Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der die Menschen um mich herum immer dafür gekämpft haben, die gleichen Rechte zu bekommen, wie andere Menschen im Land. Unsere Städte sind von der kurdischen Kultur geprägt, aber die hohen Positionen waren über viele Jahre ausschließlich von Menschen besetzt, die arabischer Herkunft waren und einer bestimmten Partei angehörten. Sie kamen aus anderen Städten zu uns. Ich bin damit aufgewachsen, dass kurdische Menschen bestimmte Ämter nicht übernehmen durften. Unsere Städte wurden von Menschen verwaltet, die nicht aus unserer Region kamen. In meinen Augen ist das eine große Ungerechtigkeit.

Die Region Rojava wurde auch von terroristischen Organisationen wie dem IS angegriffen. Um uns zu schützen, wurde eine demokratische Selbstverwaltung eingerichtet. Ein demokratisches Experiment, wie manche sagen. Die kurdischen und christlichen Einheiten haben sich selbst verteidigt. An der Bekämpfung des IS waren übrigens die Frauen maßgeblich mitbeteiligt. Frauen und Männer haben Seite an Seite gekämpft.

Wir haben etwas aufgebaut. Ich weiß, dass viele Menschen in unserer Region von Demokratie, Gleichberechtigung und einem ökologisch nachhaltigen Leben träumen. Ich weiß, dass trotzdem nicht alles perfekt ist. Wir haben viele starke Frauen in unserer Region, die diese Ideen unterstützen. Im März 2019 haben einige junge Menschen in Qamishlo, eine regionale „Fridays for Future Rojava“ gegründet. Hätten Sie das gedacht? Viele glauben auch nicht, dass wir in unserer Region eine stabile Demokratie Fehler machen, aber das ist es wert.

Ich wünsche mir, dass den Menschen in meiner Heimat ein anständiges, demokratisches Leben ermöglicht wird. Das ist das Ziel. Ich weiß, dass viele dagegen sind, dass wir von Rojava als eigenständiger Region sprechen. Aber die meisten werden verstehen, wenn ich sage: Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der ich die gleichen Rechte und die gleiche Anerkennung genieße wie alle anderen. Schaffen wir das?

Nach den Erfahrungen, die ich in meinem Land gesammelt habe, verliere ich die Hoffnung, dass uns der Aufbau einer gleichberechtigten Gesellschaft gelingt. Es wäre schön. Aber solange es uns nicht gelingt, friedlich und gleichberechtigt zusammen zu leben, habe ich den Wunsch, dass die Menschen in meiner Region die Möglichkeit bekommen, eigene Strukturen aufzubauen.

Warum ich demonstriert habe? Weil der Einmarsch der türkischen Truppen in meiner Heimat nicht nur Leben zerstört, sondern auch meine hier beschriebene Hoffnung.

Rawend Ali, Foto: privat

Rawend Ali (20) kam 2015 nach Deutschland. Er lebt in Haltern am See, absolvierte dort 2019 sein Abitur und studiert nun.

*Kurdistan beschreibt ein nicht genau begrenztes Gebiet in Vorderasien, das als historisches Siedlungsgebiet der Kurden betrachtet wird. Die Staaten, über die sich dieses Gebiet erstreckt, vermeiden zumeist die Bezeichnung Kurdistan oder verbieten den Gebrauch des Begriffes sogar. Rojava besteht aus den drei selbstverwalteten Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê.

Dieser Text erschien 2020 in der nid-Sonderausgabe „Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene“ mit dem Schwerpunktthema „Vertrauen“.

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