Viele Menschen, die neu nach Deutschland kommen, sind in ihren Heimatländern damit aufgewachsen, dass Kinder und Erwachsene vor der Polizei Angst haben. In Deutschland herrschen unterschiedliche Meinungen über die Polizei, aber Angst ist selten dabei. Man kann die Polizei sogar besuchen. Echt?! Das konnten viele in unserem Team erst einmal nicht glauben. Ja, echt. In Bochum empfingen Pressesprecher Frank Lemanis und Polizeioberkommissarin Nicole Schüttauf das nid-Team im Februar zu einem offenen Gespräch – mit Kaffee und einem Lächeln.
Mahmoud Aldalati: Ich habe noch nie mit Polizisten Kaffee getrunken! Danke, dass Sie sich heute für uns Zeit nehmen!
Frank Lemanis / Nicole Schüttauf: Sehr gerne!
In einer kurzen Vorstellungsrunde erzählt Polizeioberkommissarin Nicole Schüttauf, dass sie mehrere Jahre im Streifendienst war und als Teil der Hundertschaft auch Demonstrationen begleitet hat, bevor sie zur Pressestelle kam.
Aldalati: Wenn Polizist*innen bei einer Demonstration den Befehl haben zu schießen: dürfen sie diesen Befehl verwe igern?
Lemanis: In der jetzigen Lage wäre so eine Situation in Deutschland undenkbar: Schusswaffen werden in Menschenmengen nie eingesetzt. Zum Glück! Was wir in der Regel einsetzen, sind Schlagstöcke und Reizgas. Es ist übrigens extrem ungewöhnlich, dass die Polizei mit einer Waffe attackiert wird. Grundsätzlich liegt es aber im Ermessen der einzelnen Personen, wie sie handeln.
Issam Al-Najm: Darf eine Polizistin sich für eine politische Partei engagieren?
Lemanis: Grundsätzlich ja. Das gehört in Deutschland in den Bereich der Meinungsfreiheit. Die oberste Pflicht von Polizisten ist es jedoch, neutral zu sein. Wenn sich jemand für eine extreme Partei engagiert, ist das auf jeden Fall ein Problem.
Omar Alnabulsi: Ist die Kriminalitätsrate in Bochum seit 2015 gestiegen?
Lemanis: Das kann ich mit einem klaren „Nein!“ beantworten. In Bochum ist die Zahl der Delikte sogar rückläufig.
Auch Polizisten können sich strafbar machen.
Aldalati: Wann darf ein Polizist unfreundlich sein?
Lemanis: Nie! Wobei natürlich jeder mal einen schlechten Tag hat und manchmal muss man energisch auftreten.
Nour Alzoubi: In Syrien musste man den Polizisten manchmal Geld geben. Dafür haben sie sich meistens freundlich bedankt.
Laut einer Statistik haben über 80 % der Menschen in Deutschland Vertrauen in die Polizei.
Alnabulsi: Und wenn in Deutschland doch mal ein Polizist unfreundlich ist oder etwas Rassistisches sagt?
Lemanis: Immer beschweren! Bei der Bochumer Polizei gibt es eine Beschwerdestelle. Die Polizeipräsidentin schenkt dieser Stelle übrigens große Beachtung. Sie guckt sich alle Fälle persönlich an. Manchmal muss sich jemand entschuldigen. Auch Polizisten können eine Strafe erhalten.
Das nid-Team erzählt von Erfahrungen mit der Polizei in Syrien, vor allem von negativen Erlebnissen.
Lemanis: In Teilen ist uns natürlich bekannt, mit welchem Misstrauen gegenüber Staatsorganen einige Menschen hierher kommen. In Deutschland müssen wir ihnen die Chance geben, dieses Bild zu revidieren. Unser dringender Appell an diese Menschen ist: Vertrauen Sie uns! In Deutschland arbeiten die Polizei und die Menschen füreinander. Sagen Sie das auch Ihren Landsleuten! Übrigens verdienen wir bei der Polizei ziemlich gut. Damit sind wir weniger korrumpierbar.
Al-Najm: Was tun Sie, um das negative Bild, das viele Geflüchtete von der Polizei haben, zu verbessern?
Lemanis: Sie haben Recht, vielleicht sollten wir hier stärker proaktiv werden, das ist eine gute Idee! Ich nehme diesen Gedanken gerne aus unserem Gespräch mit.
Frauen gibt es im uniformierten Polizeidienstin Deutschland erst seit den 1980er Jahren. In Bochum sind unter den insgesamt 1900 Bediensteten der Polizei heute 400 Frauen.
Aldalati: Frau Schüttauf, ist die Polizeiarbeit für Sie als Frau schwieriger?
Schüttauf: Als Frau bin ich natürlich nicht so kräftig wie meine männlichen Kollegen. Dafür können Frauen oft besser Konflikte entschärfen: durch Kommunikation.
Aldalati: Werden Sie als Frau von Kollegen oder auf der Straße diskriminiert?
Schüttauf: Nein. Im Dienst bin ich schon mehrfach beleidigt und auch mal verletzt worden. Aber nicht, weil ich eine Frau bin.
Lemanis: Fast jeder Polizist wird im Dienst mal beleidigt oder verletzt. Ob und welche Strafe jemand für eine Beleidigung, einen Angriff oder eine andere Straftat bekommt, entscheidet aber übrigens nicht die Polizei – sondern die Staatsanwaltschaft und das Gericht! Polizei und Justiz sind in Deutschland getrennt. Das ist für unsere Demokratie sehr wichtig.
Vielen Dank für das Gespräch!
Anmerkung der Redaktion: Die nid-Redaktion kennt und schätzt auch die kritische Berichterstattung über die deutsche Polizei, vor allem in Bezug auf Polizeigewalt und teilweise mangelhafte Aufklärung. Grundsätzlich halten wir jedoch ein Vertrauen in die Polizei und andere Staatsorgane hierzulande für begründet.
Als Kind hatte ich schon den Wunsch, Polizist zu werden. Gerechtigkeit war mir immer wichtig. Als Polizist sehe ich meine wichtigste Aufgabe – und meinen eigenen Anspruch – darin, gerecht zu sein.
Frank Lemanis, Leiter der Pressestelle im Polizeipräsidium Bochum
Im Polizeidienst liegt es im Ermessen der einzelnen Personen, wie sie handeln.
Nicole Schüttauf war im Streifendienst und in der Hundertschaft, bevor sie 2015 zur Pressestelle im Polizeipräsidium Bochum wechselte
Ich war nie ein besonders guter Schüler und habe einen schlechten Schulabschluss. Trotzdem konnte ich zur Polizei gehen: Weil ich unbedingt Polizist werden wollte. Das zählte im Bewerbungsverfahren mehr als meine Schulnoten. Die Polizei guckt auch nicht darauf, ob jemand aus einer Arztfamilie kommt oder Arbeiterkind ist. Ich bin sicher, dass es auch keine Rolle spielt, welchen kulturellen Hintergrund jemand hat. Wir brauchen bei der Polizei Menschen, die mehrere Sprachen sprechen und verschiedene Kulturen kennen.
Frank Lemanis arbeitet seit 37 Jahren bei der Polizei.
Im Dienst haben wir immer nur sehr kurze Begegnungen mit Geflüchteten. Ich frage mich immer, welches Schicksal hinter diesen Menschen steht. Das würde mich sehr interessieren. Ich hoffe sehr, dass diese Menschen hier Ruhe und Frieden finden.
Polizeioberkommissarin Nicole Schüttauf absolvierte innerhalb der Polizei ein Studium. Die Mutter einer Tochter arbeitet Teilzeit – ebenso wie ihr Mann, der ebenfalls bei der Polizei ist.
Meine erste Begegnung mit der deutschen Polizei hätte ich nicht für möglich gehalten: Ich war damals erst wenige Wochen in Deutschland, in Passau. Mit einigen anderen Geflüchteten wollte ich nach Köln. Zu Fuß machten wir uns auf den Weg, immer den Schildern nach, der Autobahn entlang. Plötzlich hielt ein Polizeiauto neben uns. Die Polizisten fragten, wo wir hinwollten und ob wir kein Auto hätten. Ich erinnere mich, dass wir alle sehr aufgeregt waren und Angst hatten. „Wir wollen zum Hauptbahnhof“, erklärte ich. – „Braucht ihr ein Taxi?“, fragte einer der Polizisten. – Was sollten wir sagen? Als ich „ja“ sagte, telefonierten die Polizisten und wiesen uns an, dort zu warten. Wenig später hielt ein Großraumtaxi neben uns. „Habt Ihr ein Taxi bestellt?“ – Uns durchfuhr ein furchtbarer Schreck! Was würde mit uns geschehen? Am Ende wurden wir im Taxi zum Hauptbahnhof gebracht und brauchten sehr lange, um die Situation zu begreifen.
Issam Al-Najm, nid-Zeitung
Dieser Beitrag erschien 2018 in der 10. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“