Mittwoch, 5. Oktober
Wir sind im Q1, um die nächste Ausgabe unserer Zeitung zu besprechen. Unsere liebe Redakteurin, Frau Huneke, flüstert uns eine Überraschung zu. „Unsere Zeitung“, sagt sie, „hat den Deutschen Lesepreis gewonnen. Aber schhh… ! Erzählen Sie es niemandem, bevor es offiziell verkündet wird.“ Wir können nicht glauben, was wir hören. Es ist unmöglich für eine bescheidene Zeitung – geschrieben von einigen Flüchtlingen, die nur wenig Deutsch gelernt haben, die keine Erfahrung im Journalismus haben – einen so wichtigen Preis in Deutschland auf Bundesebene zu gewinnen. Unser Ziel war nur, der deutschen Öffentlichkeit das menschliche Gesicht der Flüchtlinge vorzustellen. So einen wertvollen Preis zu gewinnen – das war wirklich ein Fest für uns.
Im Zeitalter von Social Media drohen Bücher, gedruckte Zeitungen und das Lesen an sich verloren zu gehen. Dass wir in diesen Zeiten einen Lesepreis gewonnen haben, das ist ein Wunder.
Freitag, 14. Oktober
Wieder treffen wir uns im Q1. Unsere Redakteurin sagt, dass wir nach Berlin fahren, um unseren Preis im Rahmen einer großen Feier entgegen zu nehmen. Das ganze Team soll dabei sein. Wir sind fassungslos. Ich
sage zögernd „ja“. Wir können unsere liebe Redakteurin bei einer so großen Veranstaltung nicht allein lassen. Aber wie kann ich meinen Deutschkurs für zwei oder drei Tage verlassen?
Montag, 17. Oktober
Ich habe nicht genug Energie, um das Team nach Berlin zu begleiten. Ich erfinde einen dummen Grund und entschuldige mich, dass ich nicht mitfahren kann. Unsere Redakteurin empfängt die
Nachricht traurig.
Wir fliegen über die Wolken.
Montag, 24. Oktober
Heute findet eine große Veranstaltung statt. Drei Schauspieler – Lisa Balzer, Maximilian Strestik und Hans Dreher – präsentieren eine Lesung aus unserer Zeitung „NeuinDeutschland“. Das Rottst5-Theater ist voll. Über eine Stunde lang hört das Publikum aufmerksam zu. Anschließend sprechen die Menschen so lange mit uns, bis die Lichter im Theater angehen. Dieser Abend ist ein starkes Motiv für mich, um meine Entscheidung über die Berlin-Fahrt zu überdenken. Ich sende eine Nachricht an die Redakteurin und sie empfängt sie warm.
Mittwoch, 9. November
9:45 Uhr. Wir nehmen den Zug nach Berlin. Das ganze Team ist dabei – außer Khaled, der leider bei seiner Ausbildung nicht fehlen darf. Was für ein glücklicher Tag für uns. Es wäre uns nie eingefallen, dass unsere kleinen Bemühungen solche süßen Früchte tragen könnten. Wir fliegen über die Wolken.
16:30 Uhr. Wir sind im Berliner Humboldt-Carré, die Veranstaltung beginnt pünktlich um 18 Uhr. Die große Halle ist mit etwa 200 Personen gefüllt. Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka spricht in ihrer Rede von den Vorteilen des Lesens und Vorlesens insbesondere für Kinder. „Jedes Kind muss die Chance haben, zu lesen, Musik zu spielen, Mathe zu lernen“, sagt sie. Ein großer Applaus folgt. Dann beginnt die Zeremonie der Preisverleihung. Unsere Zeitung „Neu in Deutschland“ wurde zuletzt ausgezeichnet und es war für uns alle deutlich, dass sie eine besondere Aufmerksamkeit auf sich zog. Obwohl
dieser Moment nur kurz war, vermittelte er uns auf wunderbare Weise eine besondere Wertschätzung unserer Arbeit. Der kleine Strauch, den wir erst vor einem Jahr gepflanzt haben, unsere Zeitung, ist zu einem blühenden Baum geworden.
Donnerstag, 10. November
14 Uhr.Der Zug ist in Bochum angekommen. Ich bin auf meinem Platz halb eingeschlafen. „Kommen
Sie!“, sagt die Redakteurin leise, „wir steigen gleich aus.“ Ich öffne meine Augen und sage scherzhaft: „Gehen Sie nur, ich fahre noch weiter.“ Wir steigen aus, alle zusammen, mit Herzen voller Glück.