„Warum wohnen deutsche Familien nicht zusammen?“
In der nid-Redaktion tauchen regelmäßig Fragen über deutsche Lebenswelten und Gewohnheiten auf. Nach zahlreichen Gesprächen mit Menschen, die schon länger in Deutschland leben, stellen wir fest: Die Menschen hierzulande denken sehr unterschiedlich über Arbeit, Wohnen, Familie und Glück. Einige Fragen & Antworten haben wir hier aufgezeichnet.
Frauen & Männer mit Fluchterfahrung fragen – Frauen & Männer ohne Fluchterfahrung antworten.
Was bedeutet Familie für Dich?
Familie bedeutet für mich, dass wir uns gegenseitig schützen und unterstützen. Ich komme von der Arbeit oder von einer Reise – und jemand ist zu Hause. Das ist für mich ein Gefühl von Familie.
weiblich, verheiratet, 46 Jahre
Ja, das sehe ich auch so. Gute Freunde können auch wie eine Familie sein.
weiblich, unverheiratet, 22 Jahre
Haben die deutschen Familien weniger enge Bindungen zueinander?
Ich kann das schlecht allgemein sagen oder mit anderen Kulturen vergleichen. Jede Familie ist anders. Ich würde für mich sagen, dass ich ein enges Verhältnis zu meiner Familie habe. Wir wohnen nicht zusammen, aber wir telefonieren oft und besuchen uns regelmäßig.
weiblich, verheiratet, 46 Jahre
Erben Kinder die Religion von ihren Eltern?
Ich erlebe es so: In der Kindheit entscheiden natürlich die Eltern, mit welcher Religion ein Kind aufwächst. Spätestens wenn die Kinder erwachsen sind, können sie selbst entscheiden, welche Religion sie ausüben möchten, oder ohne Religion zu leben. Früher war die Religion in Deutschland sehr wichtig. Ich würde sagen, das ist heute anders geworden.
männlich, unverheiratet, 29 Jahre
In Deutschland kann jeder eine Wohnung haben. Warum wohnst Du in einem Bauwagen?
Der Wagen gibt mir ein einzigartiges Lebensgefühl. Der Lebensstil und der Komfort unterscheiden sich sehr von dem in einer Wohnung. Den größten Teil des Jahres verbringe ich auf meinen Terrassen und in dem wilden Garten draußen. Der Innenraum ist klein und mit Liebe zum Detail eingerichtet. Mein Wagen ist für mich wie meine zweite Haut.
weiblich, 34 Jahre
Ihr habt zwei Kinder und lebt seit vielen Jahren glücklich zusammen. Warum heiratet Ihr nicht?
Gute Frage. Wir hatten, glaube ich, einfach noch keine Zeit dazu! (lacht) Uns ist das aber auch nicht sehr wichtig. Wir sind glücklich – das ist doch die Hauptsache, oder?
männlich, unverheiratet, 42 Jahre
Warum ziehen Kinder in Deutschland so früh von zu Hause aus?
Wenn wir erwachsen sind, liegt das erste Ziel meist darin, unabhängig zu sein. Wir können doch trotzdem ein gutes Verhältnis zu unseren Eltern haben.
weiblich, 22 Jahre
Als ich mit der Schule fertig war, habe ich meiner Familie mitgeteilt, was ich studieren möchte, und wo. Meine Eltern sagten: Du kannst machen, was Du möchtest, aber organisieren musst Du Dir das selbst. Du bist für Dich selbst verantwortlich.
weiblich, 46 Jahre
Warum hast Du keine Kinder?
Als ich sechs war, ließen meine Eltern sich scheiden und ich bin als Kind hin- und hergeschoben worden. Diese Erfahrung hat mir die Hoffnung genommen, dass ich selbst als Mutter es besser machen könnte. Ich wusste schon sehr früh, dass ich keine eigenen Kinder haben möchte. Zu dieser Entscheidung stehe ich bis heute und mein Mann hat sie zum Glück mitgetragen.Ich habe fünf Patenkinder, um die ich mich von Herzen gerne kümmere.
weiblich, über 50 Jahre
Was bedeutet Arbeit für Sie?
Mein Vater wollte, dass ich Apothekerin werde. Ich sollte in meinem Leben eigenständig und finanziell unabhängig sein – auch als verheiratete Frau. Das war ihm wichtig. In den 1960er-Jahren war das eher ungewöhnlich, aber mein Vater war davon überzeugt und heute bin ich ihm sehr dankbar dafür. Dank meines Vaters konnte ich mein Leben frei gestalten, habe eine wunderbare Familie, habe berufliche Anerkennung erfahren, konnte reisen und viel lernen.
weiblich, 79 Jahre, zwei Kinder
Warum leben die Eltern allein, wenn sie alt sind?
Viele Menschen, die heute alt sind, wollen das Leben ihrer Kinder nicht belasten. Viele haben selbst, als sie jung waren, ihre eigenen Eltern gepflegt. Eine Befreiung von dieser Verantwortung bedeutet Freiheit für die Kinder.
weiblich, 46 Jahre
Die Aufgabe, die Eltern zu pflegen, wird ja auch in Deutschland sehr mehrheitlich von Frauen übernommen. Ich kenne viele Frauen, die das gemacht haben. Keinen Mann. Das ist also in meinen Augen eine Frage, die von Frauen diskutiert werden sollte. Bis die Männer sich entscheiden, daran teilzuhaben.
weiblich, 43 Jahre
Ich möchte für meine Eltern da sein, wenn sie alt werden!
männlich, 29 Jahre
Was braucht eine Gesellschaft, um sich zu verändern, zu erneuern?
Alles kann verändert werden! Aber es braucht Mut.
weiblich, 44 Jahre
Ja, Mut. Und es braucht Menschen, die ähnlich denken und sich zusammentun.
weiblich, 22 Jahre
Wie reagieren Eltern in Deutschland, wenn sie erfahren, dass ihre Kinder homosexuell sind?
Es gibt Kinder, die ihren Eltern nicht vertrauen können. Sie können ihnen das nicht sagen. Andere Familien akzeptieren das. Am Anfang ist das für die meisten sicher schwierig. Homosexualität ist auch in Deutschland keine Normalität. Ich kenne Familien, in denen das kein Problem ist.
weiblich, 44 Jahre
Mein Bruder ist schwul. Als mein Vater das erfuhr, hat er ihn rausgeworfen. Für meine Familie war das ein Schock. Nicht aus religiösen Gründen. Eher weil das gesellschaftlich nicht ins Männer-Bild meiner Eltern passt.
weiblich, 22 Jahre
In Deutschland verzichten viele Menschen auf Fleisch. Warum isst Du kein Fleisch?
Ich möchte nichts essen, das Augen hat!
weiblich, 31 Jahre
Mir schmeckt das nicht. Als Kind habe ich außerdem immer gedacht, dass die Tiere, die ich esse, sich in meinem Bauch wieder zusammensetzen und sich an mir rächen werden.
weiblich, 43 Jahre
Die Gespräche führte das nid-Team im Sommer/Herbst 2018 – im Team und als Einzelgespräche. Wir präsentieren einen gekürzten Ausschnitt aus diesen Gesprächen.
Außerdem verfassten einige deutsche Gesprächspartner*innen auf Anfrage eigene Texte, die wir in Ausschnitten abdrucken.
Diese Texte erschienen 2018 in der 12. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“ im Rahmen einer Förderung des Bundesprogramms „Demokratie leben“.