Von Sipan Ahmed
Meine erste Wohnung in Deutschland lag in der kleinen Stadt Harsewinkel in Ostwestfalen-Lippe. Die Wohnung teilte ich mir vier anderen jungen Männern. Wir alle hatten vor kurzem unsere Heimat verlassen. Jeder von uns hatte auf dem Weg nach Deutschland eigene Erfahrungen gemacht. Wir alle hatten unsere Träume und Ziele.
Eine Flucht ist keine gute Erfahrung – aber ich habe beschlossen, jede Chance zu nutzen, um für mich selbst, aber auch für die Menschen um mich herum etwas Gutes zu tun. Da ich Englisch sprechen kann, war es vor allem in der Anfangszeit für mich einfach, bei der Verständigung zwischen den Neuankömmlingen und den deutschen Freiwilligen zu helfen.
Als ich die ersten Sprachkurse hinter mir hatte, wollte ich nicht mehr in dieser kleinen Stadt bleiben, ich wollte mich weiterbewegen. So kam ich nach Herne. In Herne gründete ich zusammen mit einigen anderen Menschen aus Syrien einen syrischen Kulturverein. Mit diesem Verein wollten wir zur Integration beitragen und Menschen aus Syrien ermutigen, die deutsche Sprache zu lernen, sich weiter zu bilden. Ich engagierte mich auch bei anderen sozialen Organisationen. Auch in der Hoffnung, auf diese Weise einen Weg in die deutsche Gesellschaft und in den deutschen Arbeitsmarkt zu finden. So machte ich meine ersten Schritte. Ich kam langsamer und schwerer voran, als ich gedacht hatte. Die Sprache und die neuen Gewohnheiten fielen mir schwerer als erwartet. Das muss man aushalten.
Man muss den Druck dieses neuen Lebens aushalten und man muss aushalten, dass die eigene Familie und vieles, das vertraut ist, sehr weit weg sind, wenn man im Exil lebt. Einige meiner Freunde aus Harsewinkel haben das nicht gut ausgehalten. Sie sind auf diesem Weg gestolpert und gefallen – wenn ich das Recht habe, so etwas zu sagen. Sie haben ihre Ziele aus den Augen verloren.
Ich selbst war auch kurz davor zu fallen, aufzugeben. Mein Traum, in Deutschland weiter zu studieren und Dolmetscher zu werden, ist nicht aufgegangen. Aber ich habe schnell nach einem Plan B gesucht.
Über das Jobcenter habe ich an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen. Ich weiß, dass über diese Maßnahmen viel geschimpft wird und bestimmt gibt es viele Menschen, die damit schlechte Erfahrungen machen.
Für mich war das allerdings eine gute Sache. Ich habe dort verschiedene Grundkenntnisse erworben und nach wenigen Monaten sogar einen Ausbildungsplatz gefunden, als kaufmännischer Angestellter. In meiner Klasse an der Berufsschule und bei der Arbeit habe ich neue Freundinnen und Freunde gefunden, das macht mich sehr froh.
Ich glaube, für die meisten ist es nicht einfach, in der neuen Heimat neue Wege zu finden. Vielleicht erreichen die meisten nicht das, was sie auf dem Weg nach Deutschland angestrebt haben. Das gilt auch für mich. Trotzdem schätze ich mich glücklich. Ich habe einen Plan B entwickelt und kann meine ersten Schritte auf festem Boden machen.
Dieser Text erschien 2020 in der 18. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“.