Im Februar 2018 nahmen Rashed Alalej und Mahmoud Aldalati vom nid-Team an einem Schreibworkshop zum Berliner Filmfestival „Berlinale“ teil. Für beide war es die erste Reise in die deutsche Hauptstadt.
Mahmoud: Der Hauptbahnhof ist riesig! Als wir dort ankamen, hatten wir das Gefühl, ein neues Land zu betreten.
Rashed: Ach, und so kalt war es! Was hast du nochmal über die Sonne gesagt?
Mahmoud: Die Sonne in Berlin ist wie eine Lampe im Kühlschrank. Sie leuchtet, wärmt aber nicht. Aber die Menschen waren richtig nett!
Wirklich? Den Berlinern wird ja nachgesagt, dass sie eher unfreundlich sind! In den Cafés muss man laut rufen, damit man endlich etwas bestellen darf und wenn man in Berlin jemanden nach dem Weg fragt, gehen die Leute einfach weiter…
Mahmoud: Ja? Kann sein. Wir hatten Google Maps…
Rashed: Viele haben freundlich mit uns gesprochen.
Mahmoud: Sogar der Mann am Reichstag, der uns sagte, dass wir warten müssten.
Na, immerhin seid ihr reingekommen! Vor einem Jahr, als wir mit unserem Team den damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert in seinem Büro besuchten, waren alle im Team noch extrem erstaunt darüber, dass wir da so einfach hingehen konnten. Jetzt spaziert ihr mit aller Selbstverständlichkeit ins Bundestagsgebäude hinein…!
Mahmoud: Die Aufschrift am Reichstag „Dem deutschen Volke“ hat mir sehr gefallen!
Fast überall wurden wir auf Englisch angesprochen!
Rashed: Übrigens haben wir jeden Tag ein Tagesticket gekauft und sind kein einziges Mal kontrolliert wollten…
Mahmoud: Aber wir waren schlauer als viele Touristen! Wir haben für unser Ticket nur 7 Euro bezahlt und haben die ganze Stadt gesehen.
Rashed: Ja, stimmt. Andere zahlen für eine Fahrt im Touristenbus 20 Euro und sehen nicht so viel! Wir sind Syrer – aber keiner kann über uns lachen!
Und wie waren die Filme, wie war der Workshop?
Mahmoud: Der Workshop war toll. Alle haben viel gelacht. Mir hat auch gut gefallen, dass wir zusammen gekocht haben. Einige Filme waren schrecklich. Das haben wir auch geschrieben.
Rashed: Du erinnerst dich aber auch, dass wir im Kino gut geschlafen haben!?
Mahmoud: Du hast übrigens geschnarcht!
Rashed: Schreiben wir das?
Mahmoud: Natürlich!
Rashed: Nur sprachlich war es beim Workshop nicht ganz einfach.
Was, wieso? Habt Ihr plötzlich Euer tolles Deutsch verlernt?
Rashed: Nein. Die meisten haben Englisch gesprochen.
Mahmoud: Fast überall wurden wir auf Englisch angesprochen! Auch im Reichstag. Die Leute waren sehr erstaunt, wenn wir sagten, dass wir lieber Deutsch sprechen. Wenn ich mit dem Deutschen durch bin, werde ich Englisch lernen!
Rashed: Und weißt du, was ich dachte, wenn wir mit Leuten über die Berliner Vergangenheit sprachen, über die Mauer und die zwei Teile der Stadt nach dem Krieg…? Ich bekam plötzlich ein sehr schönes Gefühl. Nämlich dass wir Syrer, wie die Deutschen, unser Land eines Tages wieder aufbauen können, von Anfang an. Und aus einem Land im Krieg wird ein Land im Frieden, so wie Deutschland.
In Berlin fühlt man die Hilflosigkeit nicht.
Mahmoud: Ja, irgendwann wird Syrien wieder aufgebaut. Wenn die Mächtigen von heute weg sind und wir Unterstützung aus anderen Ländern bekommen. Interessant ist ja, dass in Berlin überall etwas Historisches passiert ist. In jeder Straße ist eine Geschichte entstanden. Wir haben auch ein altes Stück von der Mauer gesehen. Die Mauer war gar nicht so hoch, wie ich dachte, und sie trennte eine ganze Stadt.
In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 wurde in Berlin mit dem Mauerbau begonnen: Grenzpolizisten der damaligen DDR rissen das Straßenpflaster auf, errichteten Barrikaden aus Steinen und zogen Stacheldraht quer durch die Stadt.
Rashed: Am Potsdamer Platz gibt es tolle, neue Gebäude, aber die meisten sind aus Glas und ich habe mich gefragt, was wohl in einem Krieg mit ihnen geschehen würde, wenn eine Rakete oder eine Bombe sie träfe. Wie Mehl würde alles zusammenfallen.
Mahmoud: Zum Frühstück und zum Abendessen waren wir allerdings fast jeden Tag auf der „Arabischen Straße“. So nennen die Araber in Berlin die Sonnenallee in Neukölln, weil dort fast nur Arabisch gesprochen wird.
Am Brandenburger Tor stießen Rashed und Mahmoud zufällig auf eine Demonstration für Frieden in Syrien.
Mahmoud: In Berlin fühlt man die Hilfslosigkeit nicht, die Stimme kann andere erreichen. Eine Demonstration wird von der Polizei geschützt. In Syrien ist die Situation genau umgekehrt. Aber wen interessiert das? Die Menschen in Syrien werden umgebracht und die Welt wartet. Aber auf was?
Der komplette Blog zum Workshop ist im Internet hier nachzulesen:
https://filmblogberlin2018.wordpress.com/
Das Projekt war eine Kooperation der Stiftung wannseeFORUM, des Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf und der Concrete Narrative Society e.V. und richtete sich an junge Geflüchtete aus unterschiedlichen Ländern. Die Teilnahme des nid-Teams wurde durch Spenden und gute Freunde in Berlin ermöglicht.
Vielen Dank, Eva Baumann & Wolf Witte, für Eure Gastfreundschaft! Wir waren überwältigt, dass Ihr uns sofort den Schlüssel für Eure Wohnung anvertraut habt. Und überhaupt, dass Ihr uns ein großes Vertrauen entgegengebracht habt! Danke dafür!
Mahmoud Aldalati & Rashed Alalej
Dieser Text erschien 2018 in der 10. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland.