Warum bekommen Paketlieferanten eigentlich kein Trinkgeld?

In Syrien hat Omar Alnabulsi BWL studiert und im Betrieb seines Vaters gearbeitet. Die beruflichen Wege waren vorprogrammiert. In Deutschland war er zu einem Neustart gezwungen. Aktuell arbeitet er als Paketlieferant für einen internationalen Versandhandel.

Von Omar Alnabulsi
mit Amel Fellah

Ich möchte Ihnen gerne eine Frage stellen: Wenn Sie eine Pizza bestellt haben und der Pizzabote Ihnen die Pizza bringt, geben Sie ihm dann Trinkgeld? Die meisten wahrscheinlich ja. Aber warum geben wir dem Paketlieferanten kein Trinkgeld?

Ich gebe zu, dass mich diese Frage lange überhaupt nicht beschäftigt hat. Aber seit ein paar Monaten arbeite ich als Paketlieferant und da kam diese Frage bei mir ganz automatisch auf. Manchmal werde ich in meinem Auto von einem Pizzalieferanten überholt. Die meisten haben diese kleinen Mopeds, mit denen sie bei roten Ampeln an den wartenden Autos leicht vorbeikommen. Und dann frage ich mich: Warum freuen die Menschen sich über eine Pizza mehr als über Pakete?

Vielleicht liegt es daran, dass die meisten kein Geld zur Hand haben, wenn gerade der Paketlieferant kommt. Wohingegen die Pizza in der Regel beim Bringen bar bezahlt wird. Oder hat es etwas mit dem Hunger und der Vorfreude auf die Pizza zu tun? Vielleicht denken die Leute, dass Pizzaboten weniger Geld verdienen als Paketboten. Aber andererseits berichten die Medien immer davon, dass Paketboten unter großem Zeitdruck arbeiten und nicht viel Geld verdienen.

Außerdem weiß jeder, dass Postboten und Paketboten immer Angst haben müssen, von Hunden gebissen zu werden! Neulich ist mir das tatsächlich passiert (ich dachte je selbst irgendwie, das passiert nur in Geschichten). Ich wollte gerade an einer Haustür klingeln, da kam ein großer Hund auf mich zugesprungen. Natürlich bin ich weggelaufen, aber er hat mein Bein erwischt und meine Hose kaputt gerissen. Die Besitzerin rief den Hund zurück und zeigte auf ein Schild: „Da steht doch, dass hier ein Hund ist! Warum kommen Sie an meine Tür?“ – „Aber ich habe ein Paket für Sie. Soll ich
so lange rufen, bis Sie mich hören?“ – „Hupen! Sie sollen hupen!“

Ich stellte mir vor, was in den Straßen los wäre, wenn viele Leute, die Hunde haben, Pakete bestellen. Ich wollte die Frau noch fragen, wie oft ich hupen soll, um zu wissen, ob jemand zu Hause ist, aber eigentlich war mir meine Hose jetzt wichtiger. „Und wer zahlt mir jetzt meine Hose?“ – „Das sind Sie doch selbst schuld, also zahlen Sie auch ihre Hose selbst“, sagte die Frau. Erst als ich die Frau nach Ihrer Hunde-Versicherung fragte, wurde sie unsicher und gab mir 15 Euro. (Ich weiß nicht, wo diese Frau ihre eigenen Hosen kauft, oder bestellt, aber ich habe für 15 Euro noch keine gefunden. Egal. Paketlieferanten haben in Deutschland kein Glück.)

Jedenfalls liefere ich nun schon seit mehreren Monaten Pakete aus und niemand hat mir dafür Trinkgeld gegeben. Viele sagen: Oh, wie schön, auf dieses Paket habe ich gewartet! Aber niemand denkt daran, mir ebenfalls mit ein paar Euro eine Freude zu machen.

Ich habe deshalb beschlossen, mit gutem Beispiel voranzugehen: Als ich neulich etwas bestellt habe und mir das Paket gebracht wurde, habe ich dem Lieferanten ein paar Euro gegeben. Er war überrascht, aber auch erfreut. Und stellen Sie sich vor: Ausgerechnet an genau diesem Tag habe ich bei der Arbeit zum ersten Mal selbst ein Trinkgeld bekommen.

Dieser Beitrag erschien 2020 in der 18. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“.

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