Sauerstoff und Demokratie

Von Hiba Hasan

In meiner Heimat Syrien habe ich Luft geatmet, die mir zwar Sauerstoff gespendet hat, aber wegen des Krieges ist unsere Luft seit vielen Jahren verschmutzt. Die Menschen atmen diese Luft ein. Sie kratzt und schmerzt im Hals und setzt sich in unseren Lungen fest.

Seit ich in Deutschland bin, atme ich wieder freier. Ich atme eine andere Luft, sie ist etwas kälter in meinen Lungen, aber sie enthält noch etwas anderes: In Deutschland atme ich mit dem Sauerstoff auch Frieden und Demokratie.

Es ist ein schönes Gefühl, wenn die Menschen in ihrem Land bei politischen Wahlen frei wählen können, ohne das Ergebnis im Voraus zu kennen. In Deutschland habe ich erfahren, dass ich meine Meinung mit lauter Stimme sagen kann, ohne mich auf Symbole und Gesten beschränken zu müssen.

Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel: Ich kann über verschiedene Währungen sprechen, wenn ich das möchte, über Euro und Dollar. Ich kann beide Worte in mein Handy schreiben und als Nachrichten verschicken. In Syrien kann ich das nicht, es ist nicht erlaubt, ausländisches Geld zu haben. Die Währung ist ein Monopol der Regierung. Es ist auch unerwünscht, dass ich von ausländischen Währungen spreche. Die Menschen erfinden deshalb andere Symbole, um sich über die gleichen Dinge zu verständigen, zum Beispiel ist das grüne Blatt ein Symbol für Dollar.

Ich bin keine politische Aktivistin, das bin ich nie gewesen, aber ich bin gegen jede Diktatur in der Welt. Meine Meinung und meine Fragen möchte ich frei äußern können. In Deutschland kann ich selbst leider nicht zur Wahl gehen. Aber die Menschen um mich herum, die hier aufgewachsen sind, genießen diese Freiheit, und das spüre auch ich. Ich kann sagen, was ich denke – ich atme Demokratie.

2021

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