Von Diana Halabi, 23 Jahre
Mir ist sehr lange nicht klar gewesen, was eigentlich der Unterschied zwischen „Haus“ und „Zuhause“ ist. Als Kind bin ich mit meiner Familie sehr oft an neue Orte gezogen. Von Damaskus in kleinere Orte, von dort nach Saudi-Arabien und irgendwann zurück nach Damaskus. Natürlich war das schwer für uns Kinder. Aber wir sind als Familie immer zusammen geblieben, egal wo wir waren. Und irgendwann hatte ich das System verstanden: Die ersten zwei Monate waren schwierig, aber spätestens nach dem dritten Monat war ich mit dem neuen Ort und den neuen Menschen um uns herum verschmolzen, wir wurden Teile des Ganzen und gewöhnten uns an alles Neue.
2012 veränderten sich die Dinge. Es gab einen Krieg in meinem Land, der so ziemlich alle Mitglieder meiner Familie auf unterschiedliche Wege schickte. Ich konnte zum Glück mit meiner Mutter und meiner Schwester zusammen bleiben, und so lange sie bei mir waren, war alles gut.
Dann ging ich zum Studieren nach Amman, die Hauptstadt von Jordanien, und war zum ersten Mal allein. Das Semester begann, die ersten Monate vergingen, aber dieses Mal ging das System für mich nicht auf. Es gelang mir nicht, mit dem neuen Ort zu verschmelzen, mich einzufügen, mich an alles Neue zu gewöhnen. Das erste Jahr verging, und dann das zweite. Ich zählte nur die Tage bis zu den nächsten Ferien, in denen ich meine Familie würde besuchen können.
Im dritten Jahr wurde durch einen großen Zufall auf einmal alles anders, ich lernte Menschen kennen, die zu tollen Freunden wurden, und auf einmal war ich ein Teil des Ganzen.
Meine Mutter besuchte mich weiter regelmäßig in Amman. Dann war die Uni plötzlich zu Ende, ich hatte meinen Abschluss. Jetzt liegt wieder etwas Neues vor mir, dieses Mal ist es Deutschland.
Deutschland ist eine Chance für mich, ich kann beruflich viel dazulernen und ich habe das Gefühl, dass hier für mich vieles möglich ist. Aber erst einmal muss ich lernen, mit dem Neuen zu verschmelzen, ein Teil des Ganzen zu werden, mich an alles zu gewöhnen.
Als ich in Deutschland ankam, hatte ich das Gefühl, dass ich ein Gemälde betrete. So schön sah alles aus, so wunderbar in Ordnung. Aber die Leute sprechen sehr schnell und sie bewegen sich schnell. Ich verstehe gar nichts. Und ich fühle mich schuldig dafür. Dann wurde mir auf einmal klar, warum ich mich vor dem Neuen immer zunächst fürchte und warum ich mich ständig unvollständig fühle. Weil mein Weg in den vergangenen Jahren gesäumt war von Häusern, nicht von Orten, die ein Zuhause sind. Zuhause, das ist dort, wo die Menschen sind, die du liebst. Es geht nicht um einen bestimmten Lebensstandard. Es geht immer nur darum, mit wem du dein Zuhause lebst.
Übersetzung aus dem Englischen.
Diesen Text verfasste Diana Halabi sehr spontan, während eines nid-Treffens – ermutigt durch Lamia Hassow.
Der Text erschien 2020 in der 16. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“, Sonderausgabe „Vertrauen“ / Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene