Ein Fenster – oder ein Stein
Von Raghda Murad
Die neue Realität… ist ein Fenster in einer neuen Welt oder ein Stein, an dem unsere Hoffnung zerbricht. Gezwungen zu gehen und gezwungen anzukommen, in einer unbekannten Zukunft. Das Herz weint, ein Schmerz legt sich beim Abschied von der Heimat über die Familie. Und dann, bei der Ankunft, plötzlich ein Gefühl von Geborgenheit. Du hältst Deine Kinder fest in Deinen Armen und denkst: Gott sei Dank.
Was danach kommt, das weißt Du nicht. Was sein kann, das weißt Du nicht. So beginnt das neue Leben mit widersprüchlichen Gefühlen. Eine neue Welt, neue Menschen, neue Gewohnheiten, neue Bräuche. Anders als zu Hause.
Das neue Leben hat eine Sprache, die Du vorher noch nie gehört hast. Du brauchst diese Sprache, um Deinen Dank, Deinen Ärger oder Deine Meinung auszudrücken. Die englischen Wörter, die Du kennst, helfen Dir nicht sehr viel. Diese Erfahrung war für mich am schlimmsten: keine Sprache zu haben in dieser neuen Welt. Wie sollte ich mich in dieser Enge entfalten? Wie könnte ich meine Angst überwinden und Hoffnung haben?
Auf diese Fragen habe ich mir eine Antwort gegeben: Ich werde Geduld haben, ich werde lernen und ich werde mir Zeit nehmen. Denn es braucht Zeit, um etwas zu erreichen. So gehe ich langsam nach vorne, aber nie zurück. Und wenn ich Angst bekomme, möchte ich auf sie zugehen. Denn nur so kann ich sie überwinden.
Dieser Text erschien 2019 in der 14. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“, Sonderausgabe FRAUEN.
Raghda Murad kommt aus Aleppo. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
1 Kommentar
Kommentieren →In jedem Neuanfang liegt immer auch ein Zauber, manchmal braucht er etwas Zeit um sich zu entfalten und frei zu werden….