Ein Gedicht von Issam Alnajm ist in einem Deutsch-Buch für die gymnasiale Oberstufe abgedruckt worden – neben Gedichten von Goethe und Eichendorff. Wie wir als nid-Team davon erfahren haben? Eines Tages kam eine Email von Schülerinnen des Sankt-Adelheid-Gymnasiums in Bonn. Issam Alnajm hat die Schülerinnen daraufhin in Bonn getroffen – und nach dieser Begegnung entstand der folgende Bericht.
Von Janina Lauer, Sophia Gottwald und Victoria Solveen, Sankt-Adelheid-Gymnasium
Wir, der Leistungskurs Deutsch von Frau Engels aus der Stufe 12 des Sankt-Adelheid-Gymnasiums in Bonn, haben im September 2019 das Gedicht „Die Grenze der Angst“ (2017) zum Abschluss unserer Lyrikreihe zum Thema „unterwegs sein“ gelesen. Es stammt von Issam Alnajm, der 2015 nach Deutschland kam, als in seiner Heimat Syrien bereits Krieg herrschte.
Das Gedicht hob sich von den anderen Gedichten in unserer Unterrichtsreihe ab, da wir – anders als bei J. W. von Goethe und J. von Eichendorff – zum ersten Mal die Möglichkeit hatten, den Autor zu kontaktieren und seine Gedanken zu erfahren. Beeindruckt von Herrn Alnajms Erfahrungen und Deutschkenntnissen, über die wir durch weitere Texte und ein Video im Internet erfahren hatten, schrieben wir ihm eine Mail mit vielen Fragen zu seinem Leben und seinem Gedicht.
Herr Alnajm schlug daraufhin vor, es nicht bei einer Antwort-Mail zu belassen, sondern uns im Unterricht zu besuchen. In gespannter Erwartung hießen wir ihn am 14. Januar 2020 in der Schule willkommen.
Zwei Schülerinnen aus unserem Kurs leiteten als Moderatorinnen unser Gespräch mit ihm. Auf den ersten Blick wirkte er eher schüchtern. Doch als er anfing, von seinem Leben zu berichten, merkten wir, wie leidenschaftlich er Geschichten erzählt.
Schon seit frühester Kindheit fühlte er sich in der Welt der Bücher zuhause. Besonders europäische Schriftsteller wie Molière und Kafka zogen ihn in ihren Bann, weshalb er sich schon, bevor er nach Deutschland kam, mit der europäischen Kultur verbunden fühlte und ihm die deutsche Kultur bei seiner Ankunft weniger fremd vorkam.
Hier in Deutschland boten sich ihm Möglichkeiten, seine Gedanken mithilfe seiner Werke zum Ausdruck zu bringen, anders als in seiner Heimat Syrien. Jedoch stellte die sprachliche Barriere ein nicht unerhebliches Problem dar. Herr Alnajm bemühte sich, diese Schwierigkeit zu überwinden und unsere Sprache zu erlernen. Nach nur vier Jahren in Deutschland beeindruckte er uns mit seiner Wortgewandtheit und seinen inspirierenden Antworten. Seit seiner Ankunft in Deutschland schreibt er nicht mehr nur Gedichte auf Arabisch, sondern auch in deutscher Sprache, die in ihrer Komplexität von den von Muttersprachlern geschriebenen Gedichten nicht zu unterscheiden sind. In ihnen verarbeitet er seine Flucht, seine Ängste und Hoffnungen.
Durch die Zeitung „neu in deutschland“, in der Geflüchtete ihre Texte und Gedichte veröffentlichen und an der auch Herr Alnajm mitwirkt, können wir regelmäßig an seinen Gedichten teilhaben. Er veröffentlichte auch das Gedicht „Die Grenze der Angst“, welches er uns auf unsere Bitte hin bei seinem Besuch vorlas. Die folgende andächtige Stille dauerte mehrere Sekunden an. Obwohl sein Gefühl des Heimwehs in seinem Gedicht greifbar ist, scheint er in seiner neuen Heimat Bochum glücklich zu sein. Begeistert erzählte er uns von seinen Freunden und seiner Arbeit – nicht nur als Dichter, sondern auch als angehender Altenpfleger.
Obwohl Issam Alnajm mit wenig nach Deutschland kam, schenkt er den Menschen hier so viel. Er dient als Vorbild und beweist, dass man mit Ehrgeiz und Mut das Beste aus der eigenen Situation machen und Ziele erreichen kann. Und obwohl er so beschäftigt ist, hat er sich Zeit genommen, um mit uns Schülerinnen den direkten Kontakt zu suchen. Wir danken ihm für diese bereichernde Begegnung!
Dieser Text erschien 2020 in der 18. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“. Die Zeitung online lesen: http://weborama.de/neu_in_deutschland/18/