Der Zauber des deutschen Manfred
Es ist hilfreich, die deutsche Sprache mit all ihren Regeln und Vokabeln zu beherrschen. Aber warum bleiben manche Türen dennoch verschlossen? Lamia Hassow hat für sich einen Schlüssel gefunden. Er heißt Manfred.
Von Lamia Hassow
Sprachlich komme ich in Deutschland inzwischen gut klar – aber dann sind da die Dinge zwischen den Menschen, für die es keine grammatische Regel gibt. Vor ein paar Monaten hatte ich einen Termin beim Jobcenter. Ich stellte meinem Sachbearbeiter eine klare Frage und bekam eine klare, ablehnende Antwort. Das habe ich verstanden; überzeugt hat es mich nicht.
Am Ende bot er mir an, an einem anderen Tag noch einmal wiederzukommen. Kurz vor dem neuen Termin sprach ich mit einem Freund (der ebenfalls neu in Deutschland ist). Er machte mir wenig Hoffnung, dass ich mit meinem Antrag erfolgreich sein würde. Aber er hatte einen Tipp für mich: „Nimm einen Deutschen mit zu dem Termin!“ Obwohl mir das zunächst komisch vorkam, nahm ich mir die Worte meines Freundes zu Herzen. Es blieb nicht mehr viel Zeit, daher war es eher Zufall, dass es Manfred war, mit dem ich am nächsten Tag im Jobcenter erschien.
Manfred ist 79 Jahre alt, höflich, zurückhaltend, deutsch. Bevor wir zum Jobcenter gingen, hatte seine Lebensgefährtin ihm mit Eifer eingeschärft, was er sagen sollte, um mich zu unterstützen. Manfred hatte die Ratschläge schweigend zur Kenntnis genommen. Im Jobcenter stellte Manfred sich mit
kurzen, höflichen Worten vor. Den Rest des Gespräches nahm er schweigend zur Kenntnis. Er wusste, dass ich über die Sachlage viel besser informiert war. Alles, was er tun konnte war: meinen Worten Aufmerksamkeit schenken und dem Sachbearbeiter signalisieren, dass er zuhört und mitdenkt. Ich präsentierte also m e i n e m Sachbearbeiter meine Ziele und Argumente, genau wie beim letzten Mal. Doch der Zauber des deutschen Manfred schien zu wirken: Ich musste gar nicht viel reden: mein Antrag wurde genehmigt. Ein Wunder! Anders kann ich mir die Sache nicht erklären.
P.S.: Ich möchte keinem Menschen böse Absichten unterstellen, schon gar nicht den Mitarbeitenden des Jobcenters. Aber wir sind alle nur Menschen und vielleicht verhalten wir uns anders, je nachdem wer vor uns sitzt und wie vertraut uns diese Person erscheint. Als geflüchtete Menschen müssen wir uns dieses Vertrauen erst wieder hart erarbeiten. Wie schaffen wir das? Das habe ich noch nicht verstanden. Mit meinem umfangreichen ehrenamtlichen Engagement für die Integration geflüchteter Menschen konnte ich mir das Vertrauen jedenfalls noch nicht verdienen.
Dieser Text erschien 2019 in der 15. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“. Als PDF lesen: (>>hier)
Kontakt Lamia Hassow: hassow-l@hotmail.com
1 Kommentar
Kommentieren →Vielleicht nicht beim Jobcenter, oder vielleicht nicht bei diesem Mitarbeiter, mein / unser Vertrauen bzw das Vertrauen vieler Menschen hast du ♥