Von Albatoul Sheikh Bakeer
Deutschland ist ein freies Land, in dem die Menschen das Recht haben, ihr Leben nach ihrem Wunsch zu gestalten: Deutschland gibt den Menschen so viele Freiheiten und Möglichkeiten! Dazu gehört selbstverständlich auch, dass ich meine Kleidung wählen kann. Eines meiner Kleidungsstücke ist der Hijab (das islamische Kopftuch).
Der Hijab ist aber natürlich kein Kleidungsstück, das ich je nach Anlass wechseln kann. Er ist mehr, er gehört zu meiner Identität. Das Tragen eines Kopftuches ist in meinen Augen vergleichbar mit dem Tragen eines christlichen Kreuzes oder mit der Tätowierung eines religiösen Symbols.
Es geht mir nicht darum, andere Menschen von meiner Religion zu überzeugen, sondern darum, dass meine persönliche Entscheidung akzeptiert wird. Und ich spreche an dieser Stelle für viele Frauen. Es sind zu viele Frauen, um diese Sache zu ignorieren. Es geht um die Entscheidung vieler Mädchen und Frauen, einen Hijab zu tragen, und es geht um die Konsequenzen, die sie deshalb in der Gesellschaft erfahren.
Mein Kopftuch beeinträchtigt weder meine Fähigkeiten noch meine Intelligenz, trotzdem werden meine beruflichen Möglichkeiten wegen des Kopftuchs eingeschränkt. Viele Unternehmen, Krankenhäuser, Apotheken, Cafés stellen keine Frauen ein, die ein Kopftuch tragen. Einige fürchten, dass sie Kund*innen oder Patient*innen verlieren könnten, wenn sie Frauen einstellen, die ein Kopftuch tragen.
Für Frauen wie mich bedeutet dies, dass wir weniger Möglichkeiten haben, einen Job oder sogar eine Berufsausbildung zu erlangen. Wir können unsere Träume nicht verwirklichen, selbst wenn wir über alle erforderlichen Qualifikationen verfügen. Unsere Zukunft ist in Gefahr.
Deutschland hat mit der Aufnahme von Geflüchteten eine humanitäre Leistung erbracht. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deutschland von dieser Einwanderung ebenfalls profitiert. Die Einwanderung kann die demografische Alterung der deutschen Gesellschaft positiv beeinflussen. Wir könnten uns also gemeinsam das Ziel setzen, die Eingewanderten als effektive Mitglieder dieser Gesellschaft zu gewinnen. Das ist auch mein Ziel, auch wenn ich dabei einen Hijab trage.
Unter den Einwanderinnen sind Ingenieurinnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern, Ärztinnen und Vertreterinnen anderer Berufe, die in diesem Land eine berufliche Zukunft finden möchten.
Soll das Tragen eines Kopftuchs der Zukunft im Wege stehen?
Einige sagen, der arabische Mann unterdrücke die muslimische Frau. Aber wenn das wirklich so ist, warum helfen diese Menschen dem Mann und integrieren den Mann in alle Arbeitsbereiche – während sie die Frauen, die ein Kopftuch tragen, ablehnen?
Ich bin begeistert von dieser demokratischen Gesellschaft in Deutschland, in der die Rechte der Frauen durch Gesetze gestärkt werden. Doch ausgerechnet in Deutschland wird von Frauen erwartet, dass sie ihr Kopftuch ablegen, um beruflich weiterzukommen.
Für mich selbst kann ich sagen: Meine Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen, ist eine freiwillige Entscheidung. Es war ein dynamischer Prozess mit mehreren Phasen. Ich habe keine Unterdrückung durch einen Mann erlebt, aber ich erlebe eine Unterdrückung durch die Gesellschaft.
In verschiedenen Vorstellungsgesprächen wurden mir Fragen zu meinem Kopftuch gestellt. Das verletzt mich. („Ich bin nicht hier, um das Thema Hijab zu diskutieren, bitte stellen Sie mir eine andere Frage.“) Ich will mich in diese Gesellschaft integrieren, was aber nur gelingen kann, wenn ich das Gefühl habe, dass die Gesellschaft mich so akzeptiert wie ich bin. Integration kann doch nicht voraussetzen, dass ich meinen Hijab ablege oder mit meinen religiösen Entscheidungen breche.
Ich appelliere hiermit an Firmeninhaber*innen, Ausbilder*innen, und überhaupt an alle, die Arbeits- und Ausbildungsplätze anbieten. Hinterfragen Sie Ihre Gründe, weshalb Sie uns Frauen und Mädchen weniger Chancen geben. Wir sind ein Teil dieser Community. Bitte hindern Sie uns nicht daran, effektive Mitglieder zu werden.
Dieser Text erschien zum Internationalen Frauentag am 8. März 2021 online bei „nid“.