Ich darf wählen gehen

Von Yassmin Murad, 19 Jahre

Ich darf wählen gehen: Diesen Satz darf ich in diesem Jahr zum ersten Mal sagen. Ich bin mittlerweile 19 Jahre alt und darf nun in einem Land, das vor sieben Jahren zu meiner Heimat wurde, meine Stimme dafür nutzen, meine Meinung zu vertreten.

Vor sieben Jahren wusste ich nicht viel über Wahlen. Das lag auch daran, dass ich noch sehr jung war und Wahlen nicht meinem Interessensgebiet entsprachen. Aber vor allem lag es daran, dass meine persönliche Stimme – einer kulturellen Minderheit angehörend und als Frau – keine große Rolle gespielt hätte. Unabhängig von meinem Alter.

Seitdem habe ich viel über Wahlen, Meinungen und Positionen gelernt. Diese können sehr voneinander abweichen. In einer solch vielfältigen Gesellschaft, in der wir leben, ist es wichtig, dass alle ihre Stimme abgeben können.

Selbstbestimmung ist kein angeborenes Recht. Dieses Recht wird einem Menschen gegeben und man kann sich als privilegiert schätzen, wenn man es hat.

Jede unserer Wahl-Stimmen, die wir abgeben, um Gutes und Positives zu bewirken, geben wir ab für jede verlorene Stimme, also für jede Stimme, die nicht die Möglichkeit hat, sich selbst zu erheben.

Unsere Stimmen können Nachhaltigkeit, Entwicklung und Frieden fördern, wenn wir sie richtig nutzen. Daher finde ich es überhaupt nicht nebensächlich oder gar selbstverständlich, dass ich wählen darf.

Ich bin dankbar – für die Mühen, die sich meine Eltern gemacht haben, um mir dieses Recht zu sichern. Obgleich sie selbst dieses Recht noch nicht haben. Ich erhielt das Recht zu wählen, ohne etwas Besonderes getan zu haben. Ich habe meinen Schulabschluss gemacht, nebenbei als Aushilfe gearbeitet und kürzlich ein Studium begonnen. Alle diese Dinge sind klein im Vergleich zu dem, was meine Eltern geleistet haben. Sie haben mir das Recht zu wählen gesichert. Ihren Mühen und den Opfern, die sie erbracht haben, dem Verzicht, den sie geleistet haben, verdanke ich etwas, das meine Eltern selbst nicht haben konnten. Nicht einmal, als sie jung waren. Deutschland ist zur neuen Heimat meiner Eltern geworden, die deutsche Sprache ist zu ihrer Alltagssprache geworden.

Als ich in Deutschland ankam, war ich noch ein Kind, dem nicht bewusst war, wieviel es bedeutet, ein ganzes Leben aufzugeben und ein neues anzufangen. Inzwischen habe ich eine Ahnung davon. In diesem Jahr kann ich selbst einen Beitrag dazu leisten, dass wir in diesem Land gut ankommen und gut leben können. Ich werde meine Stimme für mich und für meine Eltern mit in diese Gesellschaft einbringen.

Yassmin Murad, 19, im Kunsthistorischen Museum in Wien.

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