Von Issam Alnajm
Gerade erlebe ich – mit allen in Deutschland – die Geburt einer neuen Regierung. Drei sehr unterschiedliche Parteien haben sich trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten auf einen Koalitionsvertrag verständigt, auf ein gemeinsames Ziel. Sie werden eine neue Regierung für ganz Deutschland bilden, Gemeinsamkeiten verstärken, das Land nach vorne bringen. Großartig!
Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei Frau Merkel bedanken. Dafür, dass sie mir und vielen anderen Geflüchteten die Chance gegeben hat, diese Demokratie miterleben zu dürfen. Ich bin zuversichtlich, dass wir alle bereits etwas dazu beitragen konnten und weiter an der Demokratie mitwirken können.
In meinem Heimatland Syrien haben die Menschen leider nicht diese Chance, ein demokratisches Leben unter einer demokratischen Regierung führen zu können. Dort wurde die Demokratie vor langer Zeit umgebracht. Begraben. Der Diktator hingegen lebt weiter. Und trotz aller Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er begangen hat, Massaker, Kriegsverbrechen, beginnt sein Ansehen in der Welt wieder zu wachsen.
Einige Menschen hegen weiter die Hoffnung, dass irgendwann neue demokratische Strukturen in Syrien wachsen. Zu ihnen zähle ich mich auch. Ich wünsche mir so sehr, dass Syrien eines Tages ein demokratisches Land wird.
Den Wunsch, in einem demokratischen Land zu leben, habe ich seit vielen Jahren. Deshalb habe ich lange davon geträumt, nach Europa zu ziehen. Im Herbst 2015 habe ich mich als Kriegsflüchtling auf den Weg gemacht und bin nach Deutschland gekommen. Jetzt lebe ich seit sechs Jahren meinen Traum, mitten in Europa. Ich lerne die Demokratie kennen und bin begeistert. Nur in einer Demokratie kann eine reife und lebendige Gesellschaft wachsen.
Umso trauriger bin ich, dass wir Menschen aus Syrien dies nur in anderen Ländern erleben können. Ich möchte die Hoffnung für mein Land nicht verlieren. Aber es wird jeden Tag schwieriger, an der Hoffnung festzuhalten. Ein kleines Licht trage ich immer in mir.
Von der neuen deutschen Regierung wünsche ich mir, dass sie dem Diktator in meinem Land keine Chance gibt und sich dafür stark macht, ihn vor Gericht zu stellen.
Dieser Text erschien in der nid-Online-Ausgabe im November 2021.