Ich spreche jetzt Gersch!
Ende 2018 zog nid-Mitglied Nour Al Zoubi (20) von Bochum nach Gera. Frisch verheiratet, trat sie dort ihren ersten Job an – und lernte Gersch, also den Geraer Dialekt. Vor allem aber hat sie das erste Mal das Gefühl, eine neue Heimat gefunden zu haben.
Von Nour Al Zoubi
Moin, moin Gera!
Hör mal bitte kurz, ich möchte Dir erzählen, wie zufrieden ich bei Dir bin. Ehrlich gestanden hast Du mir bei unserer ersten Begegnung überhaupt nicht gefallen. Das ist nun schon fast vier Jahre her. Ich war fremd, lernte Deine Sprache, aber die Menschen auf Deinen Straßen schauten mich sehr skeptisch an. Sie wussten so wenig von uns.
Für mich bleibst Du allerdings immer der Ort, an dem mein Vater mich nach Monaten der Flucht und des Wartens wieder in die Arme geschlossen hat. Irgendwann zogen wir nach Bochum, ich schien Dich schon vergessen zu haben. Wer hätte gedacht, dass wir uns wiedersehen.
Jetzt bin ich wieder da – weil Ahmad, mein Mann, hier lebt und Arbeit gefunden hat. Ich habe auch eine gute Arbeit gefunden und zusammen bauen wir uns gerade ein neues Zuhause. Nun bist Du außerdem die Stadt, in der ich meine Liebe gefunden habe, eine Arbeit und die Hoffnung, studieren zu können. Du hast Dein Gesicht verändert, Gera!
Jeden Tag sehe ich Deine Kinder, Deine freundlichen Omas und Opas. Jeden Tag trinke ich Dein Wasser, laufe über Deine ruhigen Straßen. Jeden Tag lerne ich etwas von Dir. Ich rede jetzt Gersch! Und wenn Du mich lässt, möchte ich eine Gersche Frau werden.
Deine Nour
Dieser Text erschien 2019 in der 14. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“, Sonderausgabe FRAUEN.
In ihrer neuen Heimatstadt Gera ist Nour Al Zoubi beteiligt am Aufbau eines neuen Zeitungsprojektes, Arbeitstitel „Neu in Gera“.