Von Khaled Al Rifai
In den Köpfen der meisten Menschen, die aus Syrien und den umliegenden Ländern kommen, ist Deutschland ein Land, das mit Stärke, Genauigkeit, Pünktlichkeit und Fortschritt verbunden wird. Die deutschen Institutionen und Behörden werden fast überall gelobt (wenngleich viel über Termine und komplizierte Formulare geschimpft wird). Die Menschen, die ich auf meinem Weg nach Europa getroffen habe, erzählten sich unterwegs Geschichten von einem nahezu perfekten Land.
In diesem „perfekten Land“ kümmern sich die Menschen, die in den Behörden arbeiten, um alle Angelegenheiten wie Superhelden. Sie handeln schnell und freundlich und haben auf alle Fragen eine Antwort.
Die Menschen, die mit mir zusammen in Deutschland angekommen sind und in verschiedenen Unterkünften einquartiert waren, haben diese Geschichten noch lange so erzählt. Voller Vertrauen habe ich deshalb meinen ersten Behördengang unternommen. Anfangs, als ich der deutschen Sprache noch nicht mächtig war und nicht wusste, wie die Dinge hier laufen, blieb mir ohnehin nichts anderes übrig, als mich auf die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter vollkommen zu verlassen. Nach und nach verstand ich die deutsche Sprache jedoch besser und machte leider auch einige schlechte Erfahrungen, so dass das Bild vom perfekten Land zu bröckeln begann.
Meine erste negative Erfahrung war mein Umzug in eine neue Stadt: Dem Jobcenter an meinem alten Wohnort hatte ich meinen Umzug ordnungsgemäß mitgeteilt und mich erkundigt, was darüber hinaus nun zu tun war. Die Antwort: Ich solle eine Wohnung finden, ein Formular über Mietkosten, Größe der Wohnung usw. ausfüllen – und erneut zum Jobcenter kommen. Exakt so habe ich es gemacht und war froh, dass ich bald darauf einen Termin bei der gleichen Sachbearbeiterin bekam. Diese teilte mir jedoch mit, dass ich dieses Formular in der neuen Stadt beim Jobcenter abgeben solle. Also ging ich dorthin. Und erfuhr, dass ich eine Zustimmung meines alten Wohnortes benötigte, bevor ich am neuen Ort einen Antrag stellen konnte. Es war ein großes Hin und Her. Offenbar wusste niemand so genau, wie es gehen sollte, die Aussagen widersprachen sich.
Weil ich überhaupt nicht mehr weiter wusste, habe ich entschieden, mich einfach an eine einzelne Sachbearbeiterin zu halten, und zwar an diejenige, die mir am nettesten erschien. Diese nette Frau hat dann auch tatsächlich für mich mit vielen verschiedenen Menschen telefoniert und irgendwann herausgefunden, was als nächstes zu tun war. Diesen nächsten Schritt habe ich erledigt und ging wieder zu ihr. Schritt für Schritt vorangehen, so mache ich es seitdem mit fast allen Dingen. Dies hat auch den Vorteil, dass ich die einzelnen Schritte sehr genau kennenlerne – und wenn der nächste Sachbearbeiter mir sagt, ich habe etwas falsch gemacht, dann kann ich ihm genau erklären, was genau ich gemacht habe. Dabei verwende ich nach Möglichkeiten viele Fachbegriffe und die jeweiligen Gesetzesparagraphen.
Das mit dem Umzug hat jedenfalls geklappt. Am gleichen Tag, an dem ich mich in der neuen Stadt angemeldet habe, teilte mir jedoch mein vermeintlicher Vermieter mit, dass er sich für einen anderen Mieter entschieden habe. Ich stand also da, ohne Wohnung, abgemeldet und ohne finanzielle Mittel zum Leben. Noch einmal musste ich beim Jobcenter vorstellig werden, ich musste einen neuen Antrag stellen. Leider war die zuständige Mitarbeiterin im Urlaub und ich musste zwei Monate lang ohne soziale Leistungen auskommen. Ich war schockiert, dass so etwas passieren konnte. Seitdem hat sich mein Bild vom perfekten Land verändert, ich habe dieses Vertrauen nicht mehr.
Ich bin auf mich selbst gestellt und werde mich auf keinen mehr verlassen. Bis man auf eigenen Beinen stehen kann, muss man wahrscheinlich solche Erfahrungen machen. Beim Ausländeramt lief es für mich nicht besser. Als ich dort meine Niederlassungserlaubnis beantragt habe, schien es erst so, als würde diese abgelehnt. Zum Glück konnte ich aber herausfinden, dass ich durchaus Anspruch darauf hatte und erklärte dem Mitarbeiter, weshalb das so ist und wie wir weiter kommen. Das Traurige ist, dass viele menschliche Schicksale darauf angewiesen sind, dass Mitarbeitende an ihren Schreibtischen gut informiert und hilfsbereit sind. Sie haben uns in der Hand. Wer als Geflüchteter zu einer deutschen Behörde gehen muss, erhält häufig den Rat: Nimm einen Deutschen mit! Dann wird es klappen! – (Vgl.: „Der Zauber des deutschen Manfred“ von Lamia Hassow, nid Nr. 15). Ich finde das nicht richtig, so sollte es nicht sein. Natürlich kann jeder und jede Mitarbeitende auch mal Fehler machen. Schlimm finde ich jedoch, wenn mir jemand ablehnend und wenig hilfsbereit entgegen tritt. Vielleicht ist das nicht allen Menschen, die noch nie ihr Land verlassen mussten, so klar: Für uns geht es in diesen Gesprächen um sehr wesentliche Dinge.
Derzeit besteht mein großes Ziel darin, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Ich habe dafür hart gearbeitet und ich möchte endlich ruhig schlafen können und eine Perspektive in diesem Land entwickeln können. Nach Abschluss meiner Ausbildung kann ich mir mein Leben hier selbst finanzieren, ich zahle Steuern, ich spreche Deutsch, ich engagiere mich ehrenamtlich und verteidige die demokratischen Werte, wo ich nur kann.
Liebe Mitarbeitende des Ausländeramtes: Bitte sagen Sie mir nicht, dass ich nach Hause gehen soll, wenn ich mit all meinen Unterlagen, meinen Hoffnungen und Erfolgen vor Ihnen stehe, um einen Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu stellen. Geben Sie mir lieber einen guten Rat, wie ich weiter vorgehen kann. Vielleicht kann ich nicht erwarten, dass Sie mir Mut machen. Es wäre aber sehr schön. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gehöre nicht zu den Menschen, die gerne über alles schimpfen. Ich lebe seit fünf Jahren in Deutschland und liebe dieses Land, weil ich viele tolle Menschen hier kennengelernt habe und weil ich das gesellschaftliche System hier sehr schätze. Ich war und bin für alles dankbar, was mir hier ermöglicht wurde. Dankbar zu sein, bedeutet aber nicht, dass man Dinge nicht ansprechen darf, die besser laufen könnten. Auch das habe ich in Deutschland gelernt: dass Kritik als etwas Konstruktives aufgefasst werden kann. Das hat Deutschland mir beigebracht.
Dieser Text erschien 2020 in der 18. Ausgabe von „nid – neu in deutschland“.
Zeichnung: Tim Talent / nid
2 Kommentare
Kommentieren →Danke für den Bericht! Ich wünsche trotzdem viele positive Kontakte! Leider sind nicht alle Menschen guten Willens, manche auch wirklich nicht gut. Manche oft nur unwissend oder schlicht ignorant… das sollte in Behörden nicht so sein… ist aber leider doch so – mit einem Querschnitt aller Menschen, die es so gibt.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zukunft in Deutschland!
Lieber Khaled al Rifai, als wir 1962 nach Berlin zogen, klappte alles hervorragend! Die Behördengänge waren schnell und pünktlich und ich fühlte mich , nach Flucht und Vertreibung, zum ersten Mal wieder an einem Ort ‚zuhause‘. Berlin war kompetent, pünktlich und korrekt! Gehen Sie heute nach Berlin, sie werden wohl kaum noch etwas davon finden. Berlin (West) war damals auch piksauber! Und so ist es in ganz Deutschland geworden. Nachlässig, schmuddelig und viel Inkompetenz!