Kinder, so klein und so wichtig wie unsere Herzen, schreiben Gedichte

Am Welttag der Poesie sitzt ein kurdischer Dichter mit seinen Kindern zusammen und betrachtet mit Freude und Staunen, was sie mit ihren Stiften erschaffen

Von Ibrahim Hisso, Übersetzung: Issam Alnajm

Am Welttag der Poesie schrieb meine kleine Familie Gedichte, meine Kinder machten sich einen Spaß daraus. Mein kleiner Sohn bat mich um ein gelbes, leeres Blatt. Da habe ich ihn gefragt, warum er ausgerechnet ein gelbes Blatt haben möchte. Er begründete seinen Wunsch: Die Qualität eines Blattes strahle Seelenruhe aus, während man schreibt. Und ich war seiner Meinung.

Während wir zwischen den Büchern in meinem eigenen Regal suchten, haben wir festgestellt, dass die meisten Bücher gelbe Blätter haben. Das hat mich sehr gefreut, weil mein achtjähriger Sohn Deljar den richtigen und harten Weg gefunden hatte, um das erste Gedicht in seinem Leben zu schreiben. Dann bat er mich um einen Bleistift und ich war überrascht darüber, da ich niemals einen Bleistift benutzt habe, außer wenn ich Briefe schreibe oder Zeichenübungen mache. Er begründete auch diesen Wunsch: Der syrische Dichter Salim Barakat habe einen Bleistift benutzt, um mir (also seinem Vater) in den 1990er-Jahren Briefe zu schreiben. Ich habe meinem Sohn eineinhalb Stunden Zeit gelassen, um etwas zu schreiben, ohne ihn zu kontrollieren oder seine Fehler zu kontrollieren, die ich schon sehen konnte. (Für sein Alter waren es viele Fehler.)

Deljar schrieb ein paar Sätze, die ich am Ende teilweise korrigiert habe, nachdem ich viele einfache Fehler gefunden hatte, die man versehentlich macht. Vor allem wir, die Autoren, deren Muttersprache nicht das Arabische ist, sondern das Kurdische. Trotzdem schreiben wir auf Arabisch. Wie schade, dass ich meinem Sohn keine lateinischen Buchstaben beigebracht habe, obwohl ich viele Bücher und anderes habe, mit denen wir die lateinischen Buchstaben lernen können.

Mein Sohn schrieb:

Die Sonne scheint jeden Tag aus
einem fernen Ort
Die Sonne ist nicht rund wie gestern
Meine Mutter sagt:
Die Sonne hat keine Form
Aber ich sage:
Ihre Form ist ähnlich wie das gelbe Blatt,
auf dem ich schreibe
Die Sonne ist auch anfällig für einen
Hitzschlag
Wie die Menschen

Meine elfjährige Tochter Bazjar, die schon tolle Briefe an ihre Freundinnen am Newroztag oder zu Muttertag geschrieben hat, wollte auch etwas schreiben. Sie bat mich um ein kleines Heft, in das häufig auch Telefonnummern geschrieben werden. Ich war froh, dass sie genau wusste, was sie wollte. Sie wusste, dass man, um Gedichte zu schreiben, keine bunten Blätter oder Bleistifte benötigt. Da alle Dichter sehr schöne Gedichte schreiben, obwohl sie weder buntes Papier noch Bleistifte hatten. Vor allem heute wird viel auf dem Computer geschrieben, mit dem man viele
Buchstaben schnell hintereinander schreiben kann.

Bazjar schrieb in ihr kleines Heft:

Die Sonne, von der mein Bruder sprach
ist hart
Und ich hasse sie
Die Sonne bedeutet Schlafen
Unter ihrem Schatten
Tag und Nacht
Die Blätter der Pflanzen verdursten und verwelken
Während die Sonne stärker wurde
Wie ein Ghul
Die Sonne scheint, weil Gott das will
Nicht weil sie es will.

Dieser Text erschien 2019 in der 16. Ausgabe der Zeitung „nid – neu in deutschland“. Sonderausgabe Kinder, Jugendliche, Junge Erwachsene.

Der Dichter Ibrahim Hisso wurde 1969 in Kamischli, Syrien, geboren. Er veröffentlichte mehrere Bücher und Beiträge in Zeitschriften. Seit 2015 lebt er in Bochum.

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