Meine Arbeit hat mir eine neue Brille aufgesetzt

Ich schaue nun aufmerksamer in die Gesichter von Menschen

In Algerien hat Amel Fellah (24) Germanistik studiert. In Bochum macht sie eine Ausbildung zur Augenoptikerin und betrachtet die Gesichter und Brillen von Menschen nun mit einem fachkundigen Blick.

Von Amel Fellah

Schauen Sie mich bitte einmal kurz an, wenn Sie eine Brille tragen! Ich möchte Ihre Brille etwas aufmerksamer betrachten. Dann werde ich Ihnen gleich sagen können, ob Ihre Brille gut auf Ihrer Nase sitzt, und hinter Ihren Ohren. Wenn eine Brille nämlich nicht gut angepasst ist, ach, das stört mich regelrecht… Meine Augen sehen auch, ob Sie eine teure oder eine günstige Brille tragen, und vielleicht kann ich Ihnen sogar sagen, wer die Gläser Ihrer Brille hergestellt hat.

Ich fürchte, ich habe einen Tick entwickelt, seit ich vor ein paar Monaten eine Ausbildung zur Augenoptikerin begonnen habe. Anfangs kam mir das komisch vor, diese besondere Aufmerksamkeit für die Brillen in den Gesichtern der Menschen, denen ich begegne. In meiner Heimat Algerien habe ich Germanistik studiert und bin als Au-Pair nach Deutschland gekommen. (Ach, war ich bei meiner Ankunft enttäuscht von den grauen Häusern, die ich hier vorgefunden habe! Aus der Ferne hatte ich mir Deutschland so prächtig und reich an historischen Bauten vorgestellt.)

Meine Arbeit bei einer Optikermeisterin in Bochum hat mir eine neue Brille aufgesetzt. Ich schaue nun aufmerksam in die Gesichter von Menschen und freue mich jedes Mal, wenn ich auf Personen treffe, die besondere Brillen tragen. (Die schönsten Brillen, die ich sehe, wurden natürlich bei uns gekauft!)

Nach meiner ersten Landung (in Deutschland) lande ich nun in der Welt der Brillen und ich spüre, dass meine Liebe und Leidenschaft für diese neue Welt mit jedem Schritt, den ich nach vorne gehe, wächst.

Dieser Text erschien 2020 in der 18. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“.

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