Ramadan & Corona

„Normalerweise besuchen die Familien sich gegenseitig bis spät in die Nacht. Das geht jetzt leider nicht“

Wie erleben Menschen den Fastenmonat Ramadan während der Corona-Krise? Das nid-Team berichtet von eigenen Erfahrungen.

Von Amel Fellah, Sipan Hussein, Omar Alnabulsi, Monzer Mahmoud, Lamia Hassow, Muhammad K., Issam Alnajm

Amel:                          Auf den Ramadan freue ich mich immer sehr! Weil ich in dieser Zeit genau das mache, was zu mir gehört. Ich fühle mich in dieser Zeit deshalb sehr glücklich.

Sipan:               Ich komme nicht aus dieser Tradition, in meiner Familie wurde nicht gefastet. Aber ich habe eine Zeit lang in Damaskus gelebt. Dort herrscht während des Ramadans überall eine sehr besondere Atmosphäre! Überall gibt es am Abend leckeres Essen, es duftet köstlich aus allen Häusern!

Omar:               In Damaskus ist der Ramadan ein großes Fest, überall in der Stadt! Das Wichtigste ist aber, dass die Familien zusammen sind. Während des Ramadans versuchen die Familien, an einem großen Tisch zusammen zu kommen. Wer länger arbeitet, kommt später dazu, aber alle versuchen, dabei zu sein.

Monzer:           Letztes Jahr wurde zur Iftar-Zeit (Fastenbrechen) auch in Dortmund überall in den Parks gegrillt, das war toll! Ich habe sehr viel Zeit mit Freunden verbracht, obwohl ich selbst seit einigen Jahren nicht mehr faste. Die Leute sitzen zusammen, man besucht Freunde. Das geht ja jetzt wegen Corona leider alles nicht.

Lamia:              Ich vermisse die besondere Atmosphäre, die es in meiner Heimat während des Ramadans gab. Mein Vater hat immer viele Bekannte und Verwandte zu uns nach Hause eingeladen. Wir haben selbst gekochtes Essen zu unseren Nachbarn gebracht und von ihnen Essen bekommen. Als ich klein war, fand ich das sehr aufregend! Für die Frauen sind diese Wochen allerdings auch harte Arbeit: Sie kochen, spülen und räumen für sehr viele Personen das Geschirr hin und her. In meiner Heimat haben die Männer dabei nicht mitgeholfen.

Muhammad:    Ich fahre jeden Abend eine halbe Stunde mit der Bahn, um zur Iftar-Zeit bei meinem Bruder zu sein und mit ihm zu essen. Das ist ganz schön aufwendig, aber wer will denn abends alleine sein, um das Fasten zu brechen?

Amel:               Ich finde es auch überhaupt nicht schön, an diesen Abenden alleine zu essen! Manchmal ruft meine Mutter mich über Skype an, dann brechen wir das Fasten zusammen. In meiner Heimat Algerien beginnt das Fastenbrechen allerdings früher, meine Familie hat dann also schon gegessen. Aber wir sind trotzdem irgendwie zusammen, das ist sehr schön.

Lamia:              Das Gemeinschaftliche finde ich sehr schön, aber von der muslimischen Tradition des Fastens bin ich, ehrlich gesagt, nicht überzeugt. Der spirituelle Hintergrund des Fastens erschließt sich mir nicht. Das Fasten soll den Menschen ein Gefühl dafür geben, wie es ist, Hunger zu leiden. Aber wir fühlen nicht wirklich, was die Armen in unserer Gesellschaft fühlen.

Monzer:           Meine Eltern fasten, aber sie besuchen in diesem Jahr niemanden.

Omar:               Normalerweise kochen die Familien jeden Tag und sind stundenlang damit beschäftigt, Essen vorzubereiten. In diesem Jahr bereite ich mir das Essen jeweils für drei Tage vor, damit ich nicht jeden Tag einkaufen gehen muss, außerdem arbeite ich und habe nicht so viel Zeit zum Kochen.

Amel:               In Deutschland spüre ich den Unterschied durch Corona gar nicht so sehr, weil ich hier gar nicht so viele Menschen kenne, mit denen ich zusammen sitzen würde. In Algerien ist in diesem Jahr allerdings alles anders und das ist offenbar überall zu spüren: Normalerweise besuchen die Familien sich gegenseitig bis spät in die Nacht. Das geht jetzt leider nicht.

Lamia:              In meiner Heimat klopften am späteren Abend Sinti und Roma an unsere Türen, um Essen zu bekommen, das übrig geblieben war. Wir haben auch Essen zu den ärmeren Familien gebracht.
Im Fernsehen laufen während des Ramadans immer ganz bestimmte Serien. Die schauen sich die Familien abends zusammen an. Fernsehen ist ja trotz Corona zum Glück noch möglich! Auch wenn man nicht zusammen auf dem Sofa sitzen kann.

Monzer:           Als Kind habe ich in Damaskus Tür an Tür mit meinem Opa und anderen Verwandten gewohnt. Im Ramadan haben wir uns jeden Abend besucht und mit vielen Personen am Tisch gesessen, auch mit Freunden. Seit 2011 ist das alles anders, also seit der Krieg angefangen hat. Meine Familie lebt nun in unterschiedlichen Städten und Ländern.

Issam:              Ich vermisse die Süßigkeiten, die in der Ramadan-Zeit überall frisch zubereitet werden! Ich faste zwar nicht, aber ich genieße diese Zeit, in der viel zusammen gekocht und gegessen wird.

Amel:               Ich mache fast jeden Tag etwas Süßes für den Nachtisch! Tiramisu, zum Beispiel.

Omar:               In Damaskus gehören drei Getränke traditionell zum Iftar-Essen dazu: 1. Tamarinde (ein Tamarindengetränk mit Datteln und Rosenwasser), 2. Qamar Al-Din (Aprikosensaft), 3. Arak Sous (aus Süßholz / Lakritz).

Issam:              Ich merke, dass die Atmosphäre in diesem Jahr sehr anders ist. Die Familien können sich nicht treffen, da fehlt etwas.

Monzer:           Sogar die gemeinsamen Gebete nach dem Fastenbrechen fallen in diesem Jahr aus. Für die Kinder ist es wahrscheinlich am härtesten: Das Zuckerfest (Ende des Ramadan-Fastenmonats) wird traurig werden. Normalerweise wird das Zuckerfest drei Tage lang gefeiert, die Familien laden sich gegenseitig ein und es gibt viele, viele Süßigkeiten. Ich bin gespannt, wie es in diesem Jahr sein wird.

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