Das Herz in der Tasche
Von Wael Alkadrw
Meine Heimat wurde gestohlen
von Mördern, Dieben, Wölfen, Tyrannen.
Meine Träume steckte ich in eine Tasche.
Neben diesen Träumen
in dieser Tasche
liegt tiefe Traurigkeit.
Meine Tasche steckt voller Erinnerungen
an die Abenteuer meiner Kindheit
die Blüten des Jasmins
einen kleinen Steinofen im Garten meines Großvaters
Wollpullover, von meiner Mutter gewebt
den Geruch meines Landes.
Ich blicke gespannt auf meine Reise in eine unbekannte Welt
auf der Suche nach einer Heimat
wo meine Hoffnung Wurzeln schlagen kann
und meine Träume emporwachsen.
Doch wie ein entwurzelter Baum
falle ich
und die Luft kann mich nicht tragen.
Das Schicksal nahm mir die Wurzeln
meine Krone, meine Blätter.
Meine Tasche trage ich immer bei mir.
Sie steht mir bei
in Momenten der Demütigung
und der Entfremdung.
Meine Tasche duftet nach Vergangenheit
trägt mein Herz
und trägt das Licht.
Ich öffne meine Tasche
und ein Strahl der Erinnerung trifft mich.
Die Stimme meiner Mutter sagt zu mir: „Wann sehen wir uns wieder?“
Ich vergesse zu atmen.
Der Duft des Jasmins
liegt zwischen den Seiten eines Buches
und weckt mich auf.
Mein Herz schlägt.
Eine Träne, salziger als die Tränen der Freude
fällt wie ein Salzkorn ins Meer.
Das Gewicht der Tasche
zieht mich zu Boden.
Dieser Text entstand an einem kalten Wintertag Anfang 2018 in Bochum. Um sich vor der Kälte zu schützen, hatte Wael Alkadrw einen Wollpullover angezogen, bunt wie ein Regenbogen, den seine Mutter in Syrien für ihn gestrickt hat.
Erschienen 2018 in der 11. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“ (3/2018).