Das syrische Schulsystem ist dem in Deutschland sehr ähnlich, weiß Azeddin Darmach (70). Aber die Haltung der Lehrkräfte und aller Beschäftigten an den Schulen sei in Deutschland eine sehr andere als in seiner Heimat.
In Syrien gehen die Kinder normalerweise mit vier Jahren zum Kindergarten. Wenn sie sechs sind, kommen sie in die Grundschule und bleiben dort acht Jahre. Diese Zeit ist für die Kinder sehr wichtig. Von Anfang an wird Englisch unterrichtet und die Schulen haben eine säkulare Ausrichtung.
Dann gehen die Kinder zu einer weiterführenden Schule. Hier gibt es Schulen mit wissenschaftlichem, literarischem, berufsorientiertem, technischem oder einem anderen Schwerpunkt. Diese Schulen enden nach vier Jahren mit einer Prüfung, die dem deutschen Abitur gleicht. Die Fächer sind die gleichen wie in Deutschland. Wer studieren möchte, geht anschließend an ein Institut oder eine Universität, vergleichbar mit denen in Europa. Es gibt allgemeine staatliche Schulen und private Einrichtungen, die durch ein Schulgeld finanziert werden. Etwa 90 Prozent der Kinder in Syrien gehen kostenlos zur Schule und sogar an die Universitäten. So konnte eine ganz große Mehrheit in Syrien für eine gute Bildung ihrer Söhne und Töchter sorgen.
Auf unser Schulsystem in Syrien sind wir sehr stolz.
In den Kriegszonen hatten unsere Kinder und Jugendlichen keine Chance mehr, zur Schule zu gehen. So betrachtet, hatte die Flucht für sie etwas Positives: In den neuen Heimatländern können sie wieder zur Schule gehen.
Aber die Haltung der Lehrkräfte und aller Beschäftigten n ist in Deutschland eine sehr andere als in meiner Heimat. Alle kümmern sich sehr stark um jeden Einzelnen. Die Lehrkräfte haben mehr Geduld mit jedem Kind. Sie erziehen die Kinder zu einer demokratischen Haltung. Wir Eltern und Großeltern haben auf diesem weiten Feld, der Schule, viel in Deutschland gelernt.
Das Wichtigste ist die Zeit. Es braucht Zeit. Mal mehr, mal weniger.
Natürlich haben unsere Kinder am Anfang Probleme auf den neuen Schulen, zuallererst mit der Sprache. Aber ich habe gesehen, dass das sprachliche Problem meistens bereits nach wenigen Monaten verschwindet. (Wohingegen wir, die elenden Eltern, immer noch mit der neuen Sprache kämpfen und unsere Kinder nur beneiden können.)
Dann lernen die Kinder, wie sie auch andere Probleme bewältigen können. Sie beginnen, ihre neue Umgebung zu verstehen, die neuen Kinder, die Lehrkräfte, die Regeln und Verhaltensweisen. Am Anfang gibt es oft Streit und Schwierigkeiten, weil sie aus einer anderen Welt kommen. Aber auch das verschwindet allmählich gegen Ende des ersten gemeinsamen Jahres – dank des geduldigen Verhaltens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Schulen, die sich sehr um die Kinder kümmern.
Die aus Syrien stammenden Eltern und Großeltern lernen mit ihren Kindern die Schule in Deutschland Schritt für Schritt kennen. Wir erhalten viele Briefe von der Schule. Unsere Kinder bringen diese Briefe mit nach Hause. Wir treffen uns auch häufig an der Schule. Alle geben sich viel Mühe, damit unsere Kinder sich an die neue Schule gewöhnen. Diese Erfahrungen mit den Schulen in unserem neuen Heimatland machen uns sehr zufrieden. Das Wichtigste an diesen Erfahrungen ist jedoch die Zeit: Je jünger ein Kind ist, desto leichter fällt es ihm, die neue Sprache, neue Konzepte und Verhaltensweisen zu lernen, Probleme zu überwinden und sich anzupassen. Aber es braucht Zeit. Mal mehr, mal weniger.
Dieser Text erschien 2018 in der 9. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“. >>PDF nid#9 Januar 2018