Glück in der Malerei

Das Malen habe ihm die Augen geöffnet für die Details der Dinge, sagt der ehemalige Englischlehrer Azeddin Darmach (68) aus Syrien. In Bochum erinnert er sich an Farben und verlorene Bilder aus der Heimat.

Ich weiß nicht, warum oder wie, aber die Malerei war mein ganzes Glück, als ich auf die Mittelschule ging. Unsere Schule lag auf einem Hügel, und es gab keine Mauern um die Schule, und die Landschaft rund um die Schule war so fantastisch, dass wir immer draußen sein wollten.

Unser Kunstlehrer begleitete uns zu einem schönen Feld, zu einer Wiese oder ans Flussufer, er forderte uns auf, zu malen, was wir vor uns sahen. Es war eine charmante Natur.

Der Lehrer lehrte uns nur die Grundlagen des Zeichnens und der Malerei, zum Beispiel wie verschiedene Grundfarben gemischt werden, um eine Vielzahl von Farben zu ergeben, wie Weiß als eine Farbe verwendet wird, um mehrere Ausdrücke von verschiedenen Farben zu vermitteln, die Perspektive der Gegenstände in der Nähe und in vielerlei Abständen, die Relativität der verschiedenen Objekte auf der Horizontlinie, und wie Licht und Schatten verwendet werden, um die Dimensionen der Gegenstände darzustellen. Natürlich hat er uns nie etwas über die verschiedenen Malschulen und Maltechniken erzählt, oder über die Herren der großen Kunst und ihre großen Meisterwerke. Ich hatte keine Leinwand, nicht viele Farben und Materialien, mit denen ich arbeiten konnte. Ich hatte nur eine Kiste mit Wasserfarben, eine kleine Bürste und ein großes Malheft, das ich in die Schule mitbringen durfte. Ich habe die Natur in all ihren Einzelheiten gemalt, die Wälder mit ihren Pfaden, Früchte, Blumen und Tiere. Die Bäume mit ihren Vögeln und Nestern, Rosen und Blätter, den Fluss, der die Silhouette der Bäume reflektiert, die Häuser und Gebäude, die Berge darüber mit ihren Spitzen, den Himmel mit seinen vielen Gesichtern, sonnig, bewölkt, die vier Jahreszeiten mit ihren unterschiedlichen Farben.

„In den Falten der Zeitschrift fand ich einen Schatz von Bildern“

Mein Vater hatte einen kleinen Laden. Ab und zu brachte er dorthin verschiedene bunte Zeitschriften, um das Papier zur Verpackung zu verwenden. In den Falten der Zeitschrift fand ich einen wertvollen Schatz von Bildern. Es wurden darin unglaubliche touristische Attraktionen beworben. Die Szenen waren so charmant, dass ich mich bis heute an sie erinnere. Es gab auch Bilder von Malern, die ich stundenlang anschaute und sie später imitierte. Ironischerweise habe ich die Sprache dieser Zeitschriften nicht verstanden, aber die Bilder erzählten sich selbst. Der kleine Laden meines Vaters war de facto mein Atelier.

Ich verbrachte jede freie Minute in meinen Ferien damit, auf dem kleinen Tisch im Laden meines Vaters Bilder zu malen und genoss es, sie hundert Mal aus verschiedenen Winkeln anzusehen. Die besten rahmte mein Vater ein. Natürlich beklagte er sich nie über die Kosten.

Nach einer Weile begannen die Kunden meines Vaters, meine Bilder mitzunehmen, um sie in ihre Häuser zu hängen, natürlich kostenlos. Ich war so stolz, und mein Vater ebenfalls, dass fast in jedem Haus im Dorf ein Gemälde von mir hing. Fast in jedem Haus meines Dorfes hängt ein Bild, das von mir gemalt wurde, mein Name steht darauf, Azeddin Darmach.

Wenn ich von den anderen gelobt wurde, flog ich vor Freude bis über die Wolken. Wunderbar, nicht wahr? Ich spreche von den späten fünfziger oder Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Wo sind heute meine Bilder? Bis vor dem Bürgerkrieg in Syrien hatte ich die meisten in Mappen, und andere hingen eben in bestimmten Häusern in meinem Dorf.
Aber leider ist das ganze Erbe in den Kriegsgebieten geblieben. Kann ich sie eines Tages zurückgewinnen? Ich hoffe es, aber ich habe wirklich Zweifel.
Der Text erschien 2016 in der 2. Ausgabe der Zeitung „Neu in Deutschland“ (>>LINK)

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