Richtig im Ruhrgebiet angekommen ist eigentlich erst, wer erlebt hat, wie wildfremde Menschen einem an einer Straßenkreuzung oder im Aufzug aus ihrem Leben oder von ihren Krankheiten erzählen. Omar N. traf diese lokale Besonderheit in einer Bäckerei.
Sie sei eine starke Frau und wolle auf keinen Fall in einem Heim leben, erklärte mir die Frau. Sie war vielleicht 65 Jahre alt. Seit 50 Jahren lebe sie in Bochum. Einen Augenblick zuvor hatte sie gefragt, ob der Stuhl neben mir noch frei sei. „Natürlich“, hatte ich geantwortet. Dann sprach sie über das Altwerden, dass alte Menschen immer von Krankheiten erzählten („ich würde nie über meine Rückenschmerzen klagen, ich habe gar keine Rückenschmerzen“).
Er lachte, und ich lachte zurück.
Als sie hörte, dass ich aus Syrien komme, zählte sie viele deutsche Sprichwörter über das Lernen auf. In der Zwischenzeit hatte sich ein Mann an unseren Tisch gesetzt. Er sei aus dem Iran, sagte er. Er sprach allerdings sehr gut Deutsch. „Wie viel haben Sie von dem verstanden, was die Frau sagt?“, fragte er mich. Er lachte, und ich lachte zurück.
Die Frau riet mir, auf jeden Fall besser Deutsch zu lernen, viel zu sprechen, egal ob richtig oder falsch, das sei erstmal nicht wichtig. Sie sei jedenfalls immer zwischen 12 und 13 Uhr hier in der Bäckerei. „Und wenn ich nicht da bin, sind andere da. Hier sind immer viele alte Menschen. Reden Sie, Junge! Reden Sie!“
mit Dorte Huneke-Nollmann
1 Kommentar
Kommentieren →Wunderbar!! 🙂
Diesen Text werden wir in meinem Sprachkurs zusammen lesen. Das macht hoffentlich vielen meiner Teilnehmer Mut, im Alltag mit Deutschen zu sprechen und sie kennenzulernen.
Vielen Dank!
Imgard Kreutz
vom Niederrhein