Über das deutsche Nein und das arabische Nein
Von Amel Fellah
Möchtest Du noch einen Nachschlag?“ – „Nein, danke, das war wirklich ganz köstlich, aber ich bin satt, wirklich, danke!“ So lernen das schon die Kinder in meiner Heimat Algerien: Ein niedliches, zurückhaltendes Nein, wenn eine zweite Portion angeboten wird. Auch wenn man vielleicht doch noch Lust auf eine zweite Tasse Kaffee hat, oder auf ein Brot, ein bisschen Suppe.
Das Nein ist hier ein Zeichen von Respekt und Anstand. Ein niedliches, zurückhaltendes Nein, das in der arabischen Welt grundsätzlich mit Widerspruch beantwortet wird, auch das gebietet der Anstand: „Ach was, komm schon! Ich mache Dir noch einen Kaffee!“ – Manchmal versucht man es mit einem zweiten Nein. Worauf eine weitere, fröhlich-empörte Entgegnung der Gastgeberin folgt: „Ach, was! Hier, nimm! Lass es Dir schmecken!“
In Deutschland ist das anders. Auf dem Tisch steht ein köstlicher Kuchen, den ich am liebsten komplett alleine aufessen würde. Die Gastgeberin fragt: „Möchtest Du noch ein Stück Kuchen?“ Ich sage: „Nein, danke, das war ganz köstlich, aber ich habe genug Kuchen gegessen.“ Meine Antwort wird mit einem kurzen „okay“ akzeptiert. Leider. In Deutschland wird ein Nein als Nein wahrgenommen. Das ist ja auch sehr vernünftig. Aber: Wenn man zum Beispiel, wie ich, aus einem nordafrikanischen Land nach Deutschland kommt, sollte man das unbedingt wissen. Sonst bleibt man bei Besuchen hungrig. Wer Nein sagt, bekommt in Deutschland kein zweites Stück Kuchen und keine zweite Tasse Kaffee. Außer bei Oma vielleicht, aber das ist eine andere Geschichte.
Ich überlege inzwischen zwei Mal, ob ich Ja oder Nein sage. Mein algerisches Ich sagt Nein, aber mein deutsches Ich sagt inzwischen viel öfter Ja. Jedenfalls beim Essen und Trinken. Stellen wir uns umgekehrt einen deutschen Gast bei einer arabischen oder einer nordafrikanischen Familie vor. Der Gast hat mit Begeisterung gegessen und ist nach einem großen Stück Kuchen gut gesättigt. Auf die Frage, ob er ein zweites Stück Kuchen wolle, sagt er freundlich abwehrend: „Nein, danke.“ Und mit vielen lachenden Worten wird ein zweites, großes Stück Kuchen auf seinen Teller gelegt. („Wie schüchtern unser deutscher Gast ist! Wie bescheiden!“) Es hilft nichts. Niemand kann sich dagegen wehren. Stellen Sie sich einfach vor, Sie wären bei Ihrer Oma, und freuen Sie sich über den Kuchen.
Dieser Text erschien 2020 in der 19. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“