Ein deutsches Nein mit einem Lächeln

Von Lamia Hassow

Bevor ich nach Deutschland kam, habe ich oft gehört, dass die Menschen in Deutschland ihre Meinung ganz direkt sagen. Zusagen oder Absagen werden deutlich und direkt formuliert. Das gefiel mir. Ich bin auch so eine Person, die gerne offen sagt, was sie denkt oder wie sie handeln wird. In meiner Heimat habe ich mich oft über mich selbst geärgert, weil ich manchmal nicht offen gesagt habe, was ich denke oder wie ich handeln werde. Einfach weil das unhöflich gewesen wäre.

Höflichkeit kann aber sehr unterschiedlich gesehen werden. Ich empfinde es zum Beispiel als sehr unhöflich, wenn Menschen über mein Leben sprechen als sei es ihr eigenes. „Sie sollte mal heiraten.“ – „Wieso will sie unbedingt studieren, das braucht sie doch gar nicht.“ – „Wieso trägt sie dieses Kleid, das steht ihr doch gar nicht.“ – „Hast Du gehört, was die Nachbarn sagen?“

Ja, ich höre immer, was die Nachbarn sagen. Viel zu oft. Denn es ist gestattet, all diese Dinge zu sagen. Selbst die Hühner im
Vorgarten meiner Nachbarin dürfen mein Leben kommentieren, ohne dass jemand sagt: Lass das! Es ist unhöflich, so etwas
zu sagen. Das ist ihr Leben!

Ich werde auch oft nach meiner Meinung über andere gefragt. Wie ich das finde, dass diese oder jene Frau neulich einen
roten Mantel trug? Was ich darüber denke, dass dieser Mann immer noch keine Arbeit gefunden hat? Ob der zu blöd dazu ist? Oder wie ich es finde, dass die Nachbarn sich so ein teures Sofa gekauft haben. Das werde ich gefragt. Aber wenn ich ehrlich darauf antworte, sind manche beleidigt.

Ich dachte immer, es sei gut, möglichst die Wahrheit zu sagen. Aber unbequeme Dinge werden manchmal als Kritik verstanden, auch wenn ich das gar nicht so meine. Das finde ich schade.

Das traditionelle deutsche Nein hat besondere Eigenschaften, es ist trocken, direkt, es wird häufig von einem starken Augenkontakt begleitet, mit einem Pokerface, es ist unerbittlich, so unerbittlich, dass man denken könnte, man habe einen Weltuntergang verursacht.

Darf ich das Fenster öffnen?
Nein

(Jemand schleppt Stühle.)
Kann ich Dir helfen?
Nein.

Anfangs bin ich immer ein bisschen zusammengezuckt. Inzwischen freue ich mich über die Klarheit des deutschen Neins. Ich weiß nur noch nicht so genau, wann es richtig ist, dieses deutsche Nein anzuwenden. Vor ein paar Monaten hat mir jemand einen Mantel mitgebracht.

Möchtest Du diesen Mantel haben?
Nein, danke.

Ich war so stolz auf mich, dass ich Nein sagen konnte! Aber ich glaube, die andere Person ist etwas zusammengezuckt. Lag das am Inhalt meiner Aussage oder an der Art und Weise, wie ich es gesagt habe? Muss ich die Methode noch verbessern? Oder lag es daran, dass ich das deutsche Nein mit einem leichten Akzent benutze?

Jedenfalls habe ich aus diesen Erlebnissen gelernt, dass ich gerne ehrlich bleiben möchte, dass ich zu meiner Meinung stehen möchte. Aber vielleicht werde ich ein moderneres deutsches Nein benutzen, das mit einem Lächeln daherkommt.

Dieser Text erschien 2020 in der 19. Ausgabe der Zeitung „nid – Neu in Deutschland“

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