Hoffentlich erleuchten diese Werke unseren Weg in die Zukunft

Azeddin Darmach über einen Besuch der Ausstellung „artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus“ bei „Situation Kunst – Museum unter Tage“ in Weitmar.

Es ist kalt, als wir uns an einem Januarmorgen im Schlosspark Weitmar treffen. Frau Zimmermann von „Situation Kunst“ begrüßt uns herzlich. Normalerweise öffnet das Museum seine Türen erst am Nachmittag, aber unser Besuch heute ist eine Ausnahme, denn ein TV-Journalist vom WDR begleitet uns (>>LINK).

Propaganda und Kunst

Saal_Azeddin_klDie Gemälde und Skulpturen, die wir im Museum sehen, stammen aus der Epoche des Nationalsozialismus in Deutschland (1933-1945). Die Kunstwerke fallen in zwei Kategorien: Einerseits die Kunstwerke, die den Standards der Nationalsozialistischen Partei unter Adolf Hitler entsprachen. Diese „artigen“ Kunstwerke wurden für die Propaganda-Maschine der NS-Ideologie benutzt. Andererseits die verbotenen Kunstwerke. Sie wurden „entartet“ genannt. Diese waren die wirklichen Kunstwerke, die das Leben der Menschen in dieser Epoche reflektierten. Natürlich wurden sie im Geheimen produziert.

„Hallo, ich kenne Euch!“

Nach einer kurzen Einführung leitet Frau Zimmermann uns durch die verschiedenen Hallen und erklärt sehr kunstvoll auf Deutsch und Englisch die Details der verschiedenen Kunstwerke.
vor Bild_klIch betrete derweil eine andere Welt. „Hallo Ihr!“, rufe ich einzelnen Porträts, Skulpturen und Gemälden zu. „Hallo, ich kenne Euch! So lange habe ich Euch vermisst!“ In meinen frühen Universitätsjahren, Anfang der 1970er-Jahre, traf ich einige dieser Bilder, als ich eine Seminararbeit über das Buch „The Sound of Music“ schrieb – ein wunderbarer Roman der Österreicherin Maria Augusta von Trapp (1905-1987) über die Verwendung von Musik bei der Kindererziehung. Die Familie von Trapp flüchtete 1939 nach dem Anschluss Österreichs an die deutschen Nazis in die neutrale Schweiz. Sie besaßen eine Kunstsammlung, die sie versuchten, aus dem Land zu schmuggeln. Das Buch gibt viele Informationen darüber, was in der NS-Zeit mit der Kunst geschah. Sie wurde gestohlen, versteckt, geschmuggelt, zerstört. Nur die „artige“ Kunst erschien in der Öffentlichkeit. In meinem Kopf hat dieses Buch lebendige Bilder hinterlassen und ich bin glücklich, heute in diesem Museum tatsächlich auf diese Kunstwerke zu treffen.

Licht auf die Vergangenheit

Da ist das Porträt „Die Schwimmerin“ von Robert Schwarz (1899-1962), angekauft von Hitler 1939. Wir sehen eine schöne nackte blonde Frau mit blauen Augen. Alle Teile ihres Körpers sind perfekt und sie sieht glücklich aus. Es ist das Image der perfekten deutschen Frau, das die Nazis befürworteten. Nicht weit von diesem Bild steht die Bronzeskulptur „Hungernde“ aus dem Jahr 1925. Hunger leidend wurde der Körper der Frau zu dem eines kleinen Mädchens vermindert. Die Brüste sind zu Erdnussgröße geschrumpft, ihre Seiten zeigen nur Rippen. Sie hat keine Hüften, ärmliche Hände und Füße. Fest wie ein Holzstamm steht sie da. Es ist klar, dass das Leiden dieser Frau durch die Menschen verursacht wurde, die das perfekte Image der anderen Frau befürworteten. Das Gemälde „Die Wacht (Seeadler)“ von Mathias Kiefer (1902-1980) wurde 1940 von Hitler gekauft. Der Adler war, neben dem Hakenkreuz, ein wichtiges Emblem der Nazis. Auf dem Bild sieht man, wie zwei Adler den ganzen Himmel des Meeres und des Landes zu beherrschen scheinen.

20170118_110957Ja, und dann gibt es das „Angst“ genannte Selbstbildnis von Felix Nussbaum (mit seiner Nichte Marianne) von 1941. Man sieht den Schrecken und die Angst auf den Gesichtern, tiefe Bestürzung in den Augen, entsetzte Münder. Der tatsächliche Grund für die Angst des Malers und seiner jungen Nichte waren vielleicht, nein, ganz sicher: diejenigen, die die Adler (in Kiefers Gemälde) befürworteten.
Die Sammlung ist so reich und wertvoll! Herzlichen Dank an alle Menschen, die hart daran gearbeitet haben, diese entwerteten Kunstschätze zu bewahren, zurückzuholen, zu sammeln und heute für uns auszustellen. Sie werfen ein Licht auf die Vergangenheit, und hoffentlich erleuchten sie auch unseren Weg in die Zukunft.  (Bis 9. April 2017)

Dieser Text erschien in der 5. Ausgabe der Zeitung Neu in Deutschland (1/2017) (>>PDF)

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