In Deutschland wird immer mal wieder über interkulturelle Öffnungen diskutiert. Zum Beispiel: Sollen Kunst- und Kulturorte ihre Konzepte reformieren, damit mehr Menschen unterschiedlicher Kulturen gerne und regelmäßig dorthin gehen?
Das nid-Team hat diese Frage zum Anlass genommen, um über die Bedeutung von Kunst und Kultur im eigenen Alltag zu debattieren. Hier ein Ausschnitt:
Omar: Mit Bildern oder moderner Kunst kann ich nichts anfangen. Aber nicht alle Museen sind langweilig. Das Naturkundemuseum, das wir zusammen in Berlin besucht haben, war sehr interessant! Ich mag Museen, in denen ich etwas über die Natur oder über Technik lernen kann.
Khaled: Ich glaube, die Menschen aus unserer Heimat denken eher praktisch: Sie arbeiten, sie haben Hunger, sie unterhalten sich gerne. Deshalb grillen wir am liebsten zusammen. Und weil wir zum Einkaufen und für andere Dinge Geld brauchen, gehen wir arbeiten. Aber am liebsten sitzen wir zusammen und grillen.
Lamia: Viele Menschen aus unserer Heimat verbinden das Theater mit Luxus. Es gehört nicht in ihren Alltag. Ich selbst bin auch nur ins Theater gegangen, wenn Freunde mich eingeladen haben, wenn sie gesagt haben: Komm, lass uns dorthin gehen! Das war eher Zufall, dass ich so viele Theaterstücke gesehen habe. Es hängt von den Freunden ab, und von der eigenen Persönlichkeit. Anfangs habe ich nur sehr wenig verstanden, aber das hat mich nicht gestört. Jedes Theaterstück bringt mir etwas Neues.
Amel: Ich gehe gerne ins Theater, aber mit den Museen, in denen gemalte Bilder hängen, kann ich leider auch sehr wenig anfangen. Ich mag es, wenn ich in einem Museum etwas über die Geschichte lerne.
Die Museen und Theater könnten ja auch mal ein anderes Programm anbieten. Vielleicht mit Geschichten aus Syrien und anderen Ländern. Vielleicht hätten dann mehr Menschen Interesse, dorthin zu gehen?
Amel: Ja, vielleicht wenn sie mehr Stücke über das Leben von Migranten zeigen würden.
Mahmoud: Es muss ja überhaupt nicht immer um die Themen Migration oder Flucht gehen, aber ich kann auch sagen, dass mich die Themen oft nicht interessiert haben, wenn ich in Deutschland im Theater war. Ich denke außerdem, dass die kulturellen Unterschiede eine Rolle spielen; in der Kunst werden sie besonders deutlich.
Ich denke schon, dass
man Dinge verändern
könnte, so dass die
Kunst mehr Menschen
erreicht.
Issam Alnajm
Lamia: Ich glaube, wenn es mehr kostenlose Veranstaltungen geben würde, kämen mehr Menschen dorthin. Ich gehe zu jedem Stück, für das ich Freikarten bekommen kann. Wenn ich mehr Geld hätte, wäre das bestimmt anders.
Laila: Aber die Sprache ist oft auch sehr hoch. Ich glaube, die meisten gehen wegen der schwierigen Sprache nicht ins Theater.
Mahmoud: Ja, genau, die Sprache muss zur Zielgruppe passen.
Issam: Ich denke schon, dass man Dinge verändern könnte, so dass die Kunst mehr Menschen erreicht. Es gehen ja auch nicht alle Deutschen ins Theater. Die Migranten in Deutschland wachsen langsam in diese europäische Kultur hinein. Sie brauchen Zeit, um wahrzunehmen, dass die Kunst zu unserem Leben gehört.
Khaled: Nein, das ist nichts für mich. Seit ich in Deutschland bin, war ich fünf Mal im Theater und habe mir Kunstwerke in Museen angeschaut. Übrigens war das jedes Mal mit unserem Zeitungsteam, alleine wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dorthin zu gehen. Zwei Theaterstücke, die ich gesehen habe, waren sogar in arabischer Sprache oder wurden ins Arabische übersetzt. Aber bisher habe ich jedes Mal festgestellt: Theater ist nichts für mich. Ich verstehe diese Kunst nicht. Die Ankündigungen klingen oft sehr spannend, aber am Ende bin ich enttäuscht. Bei der Malerei und modernen Installationen geht es mir genauso. Da stehe ich davor und verstehe nicht, worin der besondere Wert liegt.
Omar: Ja, wir genießen das nicht.
Issam: Was heißt denn „wir“? Ich genieße das sehr! Als wir mit unserer Zeitung in Gera waren, haben wir eine Ausstellung von Otto Dix gesehen…
Omar: Otto wer?
Für mich ist der Zug
abgefahren, das fi nde ich
aber nicht schlimm.
Khaled Al Rifai
Issam: Otto Dix ist sehr bekannt! Und wenn Du weißt, dass ein Künstler sehr bekannt ist, dann sollst Du das genießen und Dir Zeit für das Kunstwerk nehmen!
Khaled: Für mich ist der Zug abgefahren, das finde ich aber nicht schlimm. Ich möchte kein Geld für Theaterkarten mehr ausgeben. Wenn wir mit unserem Team zusammen hingehen, komme ich vielleicht nochmal mit. Weil ich die Gespräche danach immer spannend finde. Von den Stücken war ich meistens enttäuscht. In einem Stück ging es um den Islam und die Religion in unserer Gesellschaft; aber das Stück war so k…
Issam: Kein Stück ist k…! Du sollst ein bisschen anders auf die Dinge gucken, Du lernst etwas Neues kennen! Ich kann auch nicht sagen, dass jedes Stück, das ich gesehen habe, mich interessiert hat. Und ich habe wirklich sehr viele Theaterstücke gesehen, seit ich in Deutschland bin.
Khaled: Ich musste mal eine halbe Stunde lang an einer Straße auf einen Freund warten und ich habe dabei die Autos beobachtet. Das, was ich an dieser Straße beobachtet habe, war hundert Mal interessanter als die meisten Theaterstücke, die ich gesehen habe! (Die Leute, die bei den Theaterstücken neben mir gesessen haben, waren allerdings total begeistert von dem Stück.)
Sipan: Wir haben das in unseren Heimatländern nicht gelernt, ins Theater zu gehen.
Laila: Wir kommen aus einer konservativen Gesellschaft. Was in Deutschland im Theater gezeigt wird, ist für uns manchmal unangenehm.
Mahmoud: Das stimmt. Einmal waren wir mit unserem Zeitungsteam in einem Theaterstück. Zwei Personen standen komplett nackt auf der Bühne. Das war nicht angenehm für mich.
Laila: Ja, ich verstehe das nicht. Was ist die Botschaft, wenn die Menschen sich auf der Bühne nackt zeigen?
Sipan: Das hat immer eine Bedeutung! In dem Stück, von dem Mahmoud gesprochen hat, ging es um eine Befreiung.
Khaled: Ja, die Leute hier haben das über Jahre eingeübt. Bei uns ist das Freizeitverständnis ein anderes. Bei uns sind ja auch Kinos gar nicht so etabliert wie im Westen. Weil wir gerne zusammen sitzen. Als die Vokabel „Urlaub“ in unserem Deutschbuch vorkam, war mir dieses Wort auf Arabisch genauso fremd wie auf Deutsch. Wir gehen mit Freizeit anders um.
Issam: In Syrien hat das Theater, genauso wie die Kunst, eine ganz andere Rolle gespielt. Viele Stücke sind verboten worden und die Stücke, die gezeigt werden konnten, haben die Meinung der Regierung wiedergegeben. Die Schauspieler haben ausgesprochen, was die Regierung sagen wollte, sie konnten nicht frei sprechen.
Khaled: Satire ist übrigens auch Kunst. Diese Kunst gefällt mir sehr!
Könnt Ihr über deutsche Witze lachen?
Khaled: Auf jeden Fall.
Issam: Manchmal.
Omar: Ja, so langsam.
Issam: Kunst spiegelt die Gesellschaft. Sie zeigt, wie die Menschen denken und wie sie leben. Sie zeigt auch, wie frei und demokratisch eine Gesellschaft ist. Bei Günter Grass habe ich in der „Blechtrommel“ gelesen, dass die Menschen nach dem Krieg an den Theatern längere Schlangen gebildet haben, als an den Essensausgaben. Weil sie wussten dass das Theater eine Gesellschaft gesund machen kann.
Gespräch mit: Mahmoud Aldalati, Omar Alnabulsi, Rawend Ali, Issam Alnajm, Khaled Al Rifai, Amel Fellah, Lamia Hassow, Dorte Huneke-Nollmann, Sipan Hussein