Mit den Deutschen in meinem Dorf

Mit den Deutschen in meinem Dorf

In ihren Tagträumen reist Lamia Hassow manchmal zurück in ihre syrische Heimat. In ihrem kurdischen Dorf findet sie Ruhe und Sonne, während sie in Bochum für ihre C1-Deutschprüfung lernt. Seit einiger Zeit schleichen sich deutsche Freunde in diese Träume – und integrieren sich mehr oder weniger gut.

Ich habe Mitleid mit den Deutschen. Hier muss man auf alles achten, rechnen, zahlen, messen, vorher buchen, vergleichen, miteinander telefonieren, um einen Termin zu schaffen, viel Papierkram erledigen, Briefe hin und her schreiben, alles muss man ordentlich machen. Wie ein Roboter.

Oder man lebt in Angst, seinen Job zu verlieren oder eine schöne Gelegenheit zu verpassen. Und trotzdem wundern wir uns: woher kommt der Stress?

Leider muss ich jetzt auch mit mir selbst Mitleid haben, weil ich zurzeit erfahre, was die Deutschen erfahren. Manchmal tagträume ich, dass ich zurück in meinem Dorf bin. Nicht weil ich Heimweh habe, nein. Ich bin nicht dieser Typ Mensch. Aber ich vermisse das Leben mit Einfachheit und Spontaneität.

Ich stelle mir die armen Deutschen mit mir zusammen in meinem Dorf vor, in einem Frühling vor dem Krieg. Ich weiß nicht warum, aber Dorte ist die erste, die ich in diesem Traum sehe. Sie ist mit mir beim Newroz-Fest (Frühlingsfest) in traditioneller kurdischer Kleidung. Zu Newroz grillen wir gerne. Das ist bestimmt wie ein Horrorfilm für Dorte. Die Arme isst kein Fleisch, also müssen wir Kartoffeln mitnehmen. Ich hoffe, dass niemand das sieht.

Dorte ist nicht die einzige Deutsche oder Ausländerin dort. Viele andere sind gekommen, aus den Ländern, in die wir aus Syrien geflüchtet sind. Ich sehe alle Hand in Hand bei einem traditionellen kurdischen Tanz. Wir sind alle glücklich und lachen von ganzem Herzen, auch wenn nicht alle die Schritte beherrschen.

Lamia (r.) und Dorte im Museum Folkwang in Essen.

Dann fliegen und landen meine Gedanken in der Nähe des Lehmofens. Ich habe den wunderbaren Geruch in der Nase, Dorte riecht es auch. Wir schnappen uns ein Stück Brot, obwohl es noch sehr heiß ist. Es ist uns egal, dass wir uns die Finger verbrennen, das ist es uns wert.

Ich ziehe Dorte weiter, es gibt noch so viel, was ich ihr zeigen möchte. Aber sie guckt auf die Uhr und sagt: „Wir haben acht Stunden geschlafen, es ist Zeit aufzuwachen, ich habe schon Kaffee gemacht.“

 

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